SdG 04 - Die eisige Zeit
voller passiver, jammernder Frauen sein? Erdachte noch einen Augenblick darüber nach und verzog dann das Gesicht. Wenn ich es mir recht überlege, wäre das doch wohl ein ziemlicher Albtraum. Es ist die Aufgabe des Mannes, den Funken zur Flamme zu machen, nicht, ihn zu löschen …
»Wisch dir diesen verträumten Ausdruck aus dem Gesicht«, schnappte Stonny. »Wir sind da.«
Grantl blinzelte und stieß einen Seufzer aus, starrte dann das kleine, baufällige Gebäude vor ihnen an – kahle, vernarbte Steinblöcke, an denen hier und da noch ein bisschen alter Gips hing; ein flaches Holzdach, dessen alte Balken durchhingen; und ein Eingang, der so niedrig war, dass er und Stonny würden kriechen müssen, um ins Innere zu gelangen. »Hier? Beim Atem des Vermummten, das ist erbärmlich.«
»Er ist ein bescheidener Mann«, knurrte Stonny, die Hände in die Hüften gestemmt. »Und sein Älterer Gott ist keiner, der auf Pomp und Zeremonien Wert legt. Wie auch immer, es war billig … kein Wunder bei der Geschichte, die hier passiert ist.«
»Was für eine Geschichte?«
Stonny runzelte die Stirn. »Man braucht Blut, um den Heiligen Grund des Älteren Gottes zu weihen. In diesem Haus hat sich eine ganze Familie umgebracht, vor noch nicht mal einer Woche. Keruli war …«
»Hocherfreut?«
»Ein bisschen erfreut. Er hat natürlich um die Verstorbenen getrauert – «
»Natürlich.«
»Und dann hat er ein Gebot abgegeben.«
»Selbstverständlich.«
»Wie auch immer, jetzt ist es ein Tempel – «
Grantl fuhr zu ihr herum. »Augenblick mal! Ich nehme doch nicht irgendeinen Glauben an, wenn ich da reingehe, oder?«
Sie grinste. »Ganz wie du meinst.«
»Ich meine, das tue ich nicht. Hast du mich verstanden? Und Keruli sollte es lieber auch verstehen. Genau wie sein ehrwürdiger alter Gott! Kein einziger Kniefall, noch nicht einmal ein Nicken zum Altar hin, und wenn das nicht geht, dann bleibe ich hier draußen.«
»Reg dich ab. Niemand erwartet irgendwas von dir. Warum auch?«
Er ignorierte die spöttische Herausforderung in ihren Augen. »Schön, dann geh voraus.«
»Tue ich doch immer.« Sie ging zur Tür und zog sie auf. »Sicherheitsmaßnahmen – man kann diese Türen nicht eintreten, sie gehen alle nach außen auf, und sie sind größer als der innere Rahmen. Schlau, was? Die Grauen Schwerter rechnen mit einem Kampf um jedes einzelne Haus, wenn die Mauern gefallen sind – diese Pannionier werden merken, dass das Ganze ziemlich übel sein wird.«
»Um Capustan zu verteidigen, müssen die Mauern fallen? Das klingt nicht besonders optimistisch. Wir stecken alle in einer Todesfalle, und Kerulis Traumflucht-Trick wird uns nicht viel helfen, wenn die Tenescowri uns als Hauptgang rösten, oder?«
»Du bist ein erbärmlicher Ochse, weißt du das?«
»Scharfsichtigkeit hat ihren Preis, Stonny.«
Sie duckte sich, als sie das Gebäude betrat, und winkte Grantl, ihr zu folgen. Er zögerte kurz und folgte ihr schließlich mit finsterer Miene.
Ein kleines Empfangszimmer erwartete sie, mit kahlen Wänden, Tonfliesen auf dem Boden, ein paar Laternen-Nischen in den Wänden und einer Reihe eiserner Haken, an denen jedoch keine Kleidungsstücke hingen. Gegenüber war eine weitere Tür, vor der ein langer Vorhang aus Leder hing. Es roch nach Laugenseife mit einem Hauch von Galle.
Stonny nahm ihren Umhang ab und hängte ihn an einen Haken. »Die Frau ist vom Hauptraum hierher gekrochen und in diesem Raum gestorben«, sagte sie. »Hat den ganzen Weg ihre Eingeweide hinter sich hergezogen. Woraufhin der Verdacht aufgekommen ist, dass ihr Selbstmord vielleicht doch nicht ganz so freiwillig war. Entweder das, oder sie hat es sich anders überlegt.«
»Vielleicht hat ein Ziegenmilch-Händler an die Tür geklopft«, schlug Grantl vor, »und sie hat versucht, ihre Bestellung rückgängig zu machen.«
Stonny musterte ihn einen Augenblick, als würde sie ernsthaft über diese Möglichkeit nachdenken, dann zuckte sie die Schultern. »Hört sich als Erklärung ein bisschen kompliziert an, aber wer weiß? Könnte sein.« Sie drehte sich um, hob den Ledervorhang zur Seite und betrat den Flur.
Grantl folgte ihr seufzend.
Der Hauptraum nahm die gesamte Breite des Hauses ein; ein zentraler gewölbter Durchgang, der in den dahinter liegenden Hof führte, teilte die Rückwand in zwei Hälften, die wiederum von einer Reihe von Alkoven unterteilt wurde, die als Lagerräume und zellenähnliche Schlafkammern dienten. In einer Ecke des
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