SdG 04 - Die eisige Zeit
kurzfristige Erleichterung, aber wenigstens etwas.
»Erinnerst du dich an die Nacht im Schwarzhund-Wald?«, fuhr Blend leise fort. »Als wir auf dem Rückzug waren …«
Bei dem wir über einen Platz gestolpert sind, wo die Rhivi ihre Toten verbrannt hatten … bösartige Geister, die sich aus der Asche erhoben haben. »Oh ja, Blend, ich erinnere mich nur zu gut.« Und wenn das Geschwader Schwarzer Moranth uns nicht entdeckt hätte und runtergekommen wäre, um uns einzusammeln …
»Fühlt sich genauso an, Tippa. Hier sind irgendwelche Geister losgelassen worden.«
»Aber nicht die Großen – hier versammeln sich irgendwelche Vorfahren. Wenn es die Großen wären, würden uns längst die Haare zu Berge stehen.«
»Stimmt. Also, wo sind sie? Wo sind die schrecklichsten aller Barghast-Geister?«
»Ganz offensichtlich irgendwo anders. Und wenn uns Oponns Glück zulächelt, werden sie auch morgen nicht auftauchen.«
»Man sollte eigentlich annehmen, dass sie genau das tun. Dass sie so etwas wie das hier nicht verpassen wollen.«
»Versuch doch zur Abwechslung mal, an was Angenehmes zu denken, Blend, beim Atem des Vermummten!«
»Ich habe einfach nur so nachgedacht«, gab die andere Frau schulterzuckend zurück. »Wie auch immer«, fuhr sie fort und stand auf, »ich glaube, ich werde mal ein bisschen rumlaufen. Mal sehen, was ich so alles aufschnappen kann.«
»Du verstehst die Sprache der Barghast?«
»Nein, aber für die wirkungsvollste Verständigung braucht man manchmal gar keine Worte.«
»Du bist genauso schlimm wie die anderen, Blend. Das ist wahrscheinlich die letzte Nacht, in der wir unter den Lebenden weilen, und du ziehst los.«
»Aber darum geht es doch gerade, oder nicht?«
Tippa schaute zu, wie ihre Freundin in den Schatten verschwand. Verdammt noch mal … jetzt hast du dafür gesorgt, dass ich hier hocke und mich noch elender fühle als vorher. Woher soll ich wissen, wo die gefährlichen Barghast-Geister sind? Vielleicht warten sie einfach nur hinter irgendeinem Hügel. Bereit, morgen früh ins Freie zu hopsen und uns alle zu Tode zu erschrecken. Und woher soll ich wissen, zu welcher Entscheidung dieser Barghast-Kriegshäuptling morgen kommen wird? Ob er uns allen den Kopf tätscheln oder uns ein Messer in die Kehle rammen lassen wird?
Spindel schob sich durch die Menge und trat zu ihr. Der Gestank nach verbrannten Haaren hüllte ihn ein wie ein zweiter Umhang, und er machte ein grimmiges Gesicht. Er kauerte sich vor ihr hin. »Es läuft schlecht, Korporal.«
»Das ist ja wirklich mal was Neues«, schnappte Tippa. »Was ist?«
»Die Hälfte unserer Soldaten ist betrunken, und die andere Hälfte ist auf dem besten Wege, es ihnen nachzutun. Dass Paran und seine Kumpane in dem Zelt da verschwunden sind und nicht wieder rauskommen, wird nicht gerade als gutes Zeichen gesehen. Wenn die Morgendämmerung kommt, werden wir nicht in der richtigen Verfassung sein, irgendwas zu tun, verdammt.«
Tippa warf einen Blick zu Humbrall Taurs Zelt hinüber. Die Gestalten, die sich umrisshaft in seinem Innern abzeichneten, hatten sich schon eine ganze Weile nicht mehr bewegt. Nach einem Augenblick nickte sie sich selbst zu. »In Ordnung, Spindel. Hör auf, dir darüber Sorgen zu machen. Geh und amüsier dich ein bisschen.«
Der Mann starrte sie mit offenem Mund an. »Was meinst du mit amüsieren?«
»Ja, klar, weißt du noch, was das ist? Entspannung, Vergnügen, das Gefühl, sich wohl zu fühlen. Na los, mach schon, sie ist irgendwo da draußen, und du bist in neun Monaten sowieso nicht mehr hier. Natürlich würde es deine Chancen wahrscheinlich verbessern, wenn du dieses Haarhemd ausziehen würdest – zumindest für diese eine Nacht – «
»Das kann ich nicht machen! Was soll denn Mutter denken?«
Tippa musterte den Magier, der ein ebenso bekümmertes wie entsetztes Gesicht machte. »Spindel«, sagte sie langsam, »deine Mutter ist tot. Sie ist nicht hier, sie passt nicht auf, was du tust. Du kannst dich ruhig danebenbenehmen, Spindel. Ehrlich.«
Der Magier duckte sich, als hätte ihm eine unsichtbare Hand gerade eine Kopfnuss versetzt, und einen Augenblick dachte Tippa, sie hätte die Abdrücke von Fingerknöcheln auf seinem kahlen Schädel gesehen.
Dann trottete Spindel davon, wobei er die ganze Zeit vor sich hin murmelte und den Kopf schüttelte.
Bei den Göttern … vielleicht sind alle unsere Vorfahren hier! Tippa schaute sich mit finsterem Blick um. Komm mir zu nahe, Paps, und ich schlitze
Weitere Kostenlose Bücher