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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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zumindest ging aus den Berichten des Domänensers eindeutig hervor. Beleidigt war wohl eine bessere Beschreibung, korrigierte Toc sich. Beleidigt genug, um ihre Wut aufflackern zu lassen, doch diese Wut hatte nichts Getriebenes. Lady Missgunst war keine Frau, die schmollte, keine, in der tiefe Feuer der Rache brannten. Sie existierte nur, um nach Möglichkeiten der Zerstreuung zu suchen und ihren eigensinnigen Launen nachzugehen.
    Lady Missgunst und wahrscheinlich auch ihr verwundeter Hund Garath würden sich jetzt endlich abwenden. Müde von der Jagd würden sie die Verfolgung nicht fortsetzen, nicht, wenn sie dazu dieses stürmische Meer mit seinen schimmernden, überfluteten Ungetümen aus zackigem Eis überqueren mussten.
    Er sagte sich, dass er nicht enttäuscht sein sollte, doch dieser Gedanke versetzte ihm dennoch einen Stich, machte ihn traurig. Er vermisste sie, nicht als Frau – oder zumindest nicht vorwiegend als Frau. Nein, ich glaube, es ist ihr unsterbliches Gesicht. So unbelastet. Das Glitzern einer Schwindlerin in ihrem tausendjährigen Blick. Ich habe sie einst geneckt … bin um diesen Charakterzug herumgetanzt … habe sie dazu gebracht, mit dem Fuß aufzustampfen und die Stirn zu runzeln. Wie es nur eine Unsterbliche tun konnte, als sie sich plötzlich etwas so Unwahrscheinlichem wie Spott ausgesetzt sah. Ich habe den Spieß umgedreht. Ihr Götter, war ich wirklich so kühn?
    Nun, liebe Lady, ich entschuldige mich jetzt untertänigst. Ich bin nicht mehr der tapfere Mann, der ich einst war, wenn es denn tatsächlich Tapferkeit und nicht einfach nur Dummheit war. Die Fähigkeit zu spotten ist mir genommen worden. Sie wird niemals zurückkehren, und das ist vielleicht gut so.
    Ah, ich kann sehen, wie Ihr von ganzem Herzen dazu nickt. Sterbliche sollten nicht spotten, aus all den offensichtlichen Gründen. Innere Distanz sollte den Göttern vorbehalten sein, denn nur sie können den Preis dafür bezahlen. So sei es.
    Ich danke Euch, Lady Missgunst. Es werden Euch keine Gegenbeschuldigungen verfolgen. Ihr habt Eure Sache gut gemacht.
    »Du hättest Korall zu seinen besten Zeiten sehen sollen, Malazaner.«
    »Es war Euer Zuhause, nicht wahr?«
    »Ja. Obwohl meine Heimat jetzt im Herzen meines Sehers ist.«
    »Wo die Winde sogar noch kälter sind«, murmelte Toc.
    Der Domänenser schwieg einen Augenblick.
    Toc erwartete einen Hieb mit der gepanzerten Faust oder einen schmerzhaften Ruck der Hand, die seinen zerbrechlichen Arm gepackt hielt. Beides wäre eine angemessene Antwort gewesen, beides hätte ein zustimmendes Nicken des Sehers zur Folge gehabt. Stattdessen sagte der Mann: »Dies ist ein Sommertag, aber keiner wie die, an die ich mich aus meiner Jugend erinnere. Der Wind über Korall war warm. Sanft, liebkosend wie der Atem einer Geliebten. Mein Vater hat draußen gefischt, jenseits der Kluft, an der Küste ein Stück nördlich von hier. Dort gab es riesige Schwärme. Er war in jeder Fangzeit eine Woche oder sogar noch länger weg. Wir sind alle zu den Stegen hinuntergegangen, um die Fangflotte zurückkehren zu sehen, um das orangefarbene Segel unseres Vaters zwischen all den anderen Booten zu sehen.«
    Toc blickte zu dem Mann auf, sah das Lächeln, das schimmernde Echo kindlicher Freude in seinen Augen.
    Sah, wie beides erneut starb.
    »Als er das letzte Mal zurückgekommen ist … musste er feststellen, dass seine Familie sich dem neuen Glauben angeschlossen hatte. Seine Frau war bei den Tenescowri. Seine Söhne waren zur Armee gegangen, der älteste hatte bereits eine Ausbildung als Domänenser begonnen. An jenem Tag hat er mir die Leinen nicht zugeworfen – denn er hat meine Uniform gesehen. Er hat meine Mutter gesehen – hat ihre wahnsinnigen Schreie gehört. Er hat meine Brüder mit Speeren in den Händen gesehen und meine Schwestern, wie sie sich nackt an Männer schmiegten, die dreimal so alt waren wie sie. Nein, er hat den Mastbaum herumgeworfen und ist in die ablandige Brise hineingekreuzt.
    Ich habe seinem Segel nachgeschaut, bis ich es nicht mehr sehen konnte. Das war meine Art, Malazaner – «
    »Ihm Lebewohl zu sagen«, flüsterte Toc.
    »Ihm … viel Glück zu wünschen. Ihm zu sagen … gut gemacht.«
    Zerstörer von Menschenleben. Seher, wie hast du deinem Volk nur so etwas antun können?
    Hinter ihnen im Palast war aus der Ferne eine Glocke zu vernehmen.
    Der Griff des Domänensers wurde fester. »Die bewilligte Zeit ist um.«
    »Zurück in meine Umarmung«, sagte Toc und

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