SdG 05 - Der Tag des Sehers
versuchte, mit einem letzten Blick so viel wie möglich von der Welt vor ihm in sich aufzusaugen. Behalte diesen Anblick im Gedächtnis, Toc der Jüngere, denn du wirst ihn nie wieder sehen.
»Danke, dass ich Euren Umhang benutzen durfte«, sagte er.
»Gern geschehen, Malazaner. Dieser Wind war einst warm. Komm, stütz dich beim Gehen auf mich – dein Gewicht ist kaum zu spüren.«
Langsam gingen sie zu dem Gebäude zurück. »Ihr meint, es ist leicht zu ertragen.«
»Das habe ich nicht gesagt, Malazaner. Das habe ich nicht gesagt.«
Das ausgebrannte Mietshaus schien einen Augenblick zu zittern, ehe es in einer Staubwolke in sich zusammensank. Schild-Amboss Itkovian spürte durch seine Stiefelsohlen, wie die Pflastersteine erbebten, und Donner grollte durch die Luft.
Igel wandte ihm sein grinsendes, rußverschmiertes Gesicht zu. »Seht Ihr. Es ist wirklich ganz leicht.«
Itkovian antwortete dem Brückenverbrenner mit einem Nicken, schaute dann zu, wie Igel sich zu den anderen Sappeuren gesellte und die Gruppe sich zum nächsten Gebäude aufmachte, das nicht mehr instand zu setzen war.
»Immerhin«, sagte Hauptmann Norul, während sie sich den Staub von ihrem Wappenrock wischte, »wird es keinen Mangel an Baumaterial geben.«
Der Morgen war heiß, die Sonne hell. Das Leben kehrte nach Capustan zurück. Menschen, die sich Tücher vor die Gesichter gebunden hatten, krochen in den Trümmern herum, die einst ihre Häuser gewesen waren. Noch immer wurden bei den Aufräumarbeiten Leichen gefunden, wurden eingewickelt und auf von Fliegen umschwärmte Wagen geworfen. Die; Luft in den Straßen stank nach Verwesung, doch es schien, als hätten die Pferde, auf denen sie saßen, sich daran gewöhnt.
»Wir sollten weiterreiten, mein Herr«, sagte Norul.
Sie machten sich wieder auf den Weg. Jenseits des Westtors versammelten sich die offiziellen Repräsentanten – das Kontingent, das aufbrechen würde, um sich mit den anrückenden Armeen von Dujek Einarm und Caladan Bruth zu treffen. Die Verhandlungen sollten in drei Glockenschlägen beginnen.
Itkovian hatte dem neuen Destriant der Kompanie den Befehl übergeben. Tenescowri-Flüchtlinge kamen zu Hunderten über die Ebene. Über die wenigen, die versucht hatten, nach Capustan hineinzugelangen, waren die Überlebenden hergefallen. Den Schild-Amboss hatten Berichte von Bauern und Bettlern erreicht, die von einem rasenden Mob in Stücke gerissen worden waren. Als Antwort hatte er die Grauen Schwerter ausgeschickt, um vor der Westmauer ein Internierungslager zu errichten. Lebensmittel waren knapp. Itkovian fragte sich, wie sein neuer Destriant sich wohl machte. Zumindest wurden Unterstände für die unglücklichen Flüchtlinge gebaut.
Die schon bald Rekruten sein werden. Jedenfalls diejenigen, die die nächsten paar Wochen überleben. Wahrscheinlich werden wir die Schatztruhen der Grauen Schwerter leeren müssen, um Vorräte von den Barghast zu kaufen. Gebe Fener – nein, gebe Togg, dass sich die Ausgabe als sinnvoll erweist.
Er freute sich nicht gerade auf die Verhandlungen. Die Wahrheit war, dass er dort eigentlich überhaupt nichts zu suchen hatte. Hauptmann Norul an seiner Seite war jetzt die Kommandantin der Grauen Schwerter. Seine Rolle als ihr Berater war fragwürdig; sie war durchaus in der Lage, die Interessen der Kompanie auch ohne seine Hilfe zu vertreten.
Sie näherten sich dem Westtor, das nun mehr als alles andere einem großen Loch in der Stadtmauer glich.
An einem der ausgebrannten, größtenteils eingestürzten Tortürme lehnte Grantl und betrachtete sie mit einem schwachen Grinsen auf seinem gestreiften Gesicht. Nicht weit von ihm stapfte Stonny Menackis unruhig auf und ab; anscheinend war sie wütend.
»Jetzt brauchen wir nur noch auf Humbrall Taur zu warten«, sagte Grantl.
Itkovian zügelte stirnrunzelnd sein Pferd. »Wo ist das Gefolge des Maskenrats?«
Stonny spuckte aus. »Sie sind schon vorgefahren. Sieht so aus, als wollten sie sich erst einmal allein mit den anderen unterhalten.«
»Reg dich ab, Schätzchen«, knurrte Grantl. »Schließlich ist doch dein Freund Keruli bei ihnen, oder?«
»Darum geht es nicht! Sie hatten sich verkrochen, während du und die Grauen Schwerter hier, während ihr alle sie und ihre verdammte Stadt am Leben gehalten habt!«
»Nichtsdestoweniger«, sagte Itkovian, »sind sie nun, da Fürst Jelarkan tot ist und es keinen Erben gibt, die herrschende Körperschaft von Capustan.«
»Trotzdem hätten sie
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