SdG 05 - Der Tag des Sehers
war sogar noch schlimmer. Von den drei Boten, die Itkovian dorthin geschickt hatte, war kein einziger zurückgekehrt. Die Westkaserne war ein loderndes Flammenmeer, und im Feuerschein konnte man immer wieder das Westtor ausmachen, das nur noch aus Trümmern bestand. Sollte diese Bresche sich bis zur Westseite des Jelarkan-Platzes ausweiten, konnte das sehr wohl den Fall der halben Stadt zur Folge haben.
Der Schild-Amboss schritt wütend auf und ab. Er hatte keine Reserven mehr, um einzugreifen. Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als hätten die Abteilungen der Capanthall und der Grauen Schwerter, die am Westtor stationiert gewesen waren, einfach aufgehört zu existieren. Aus den hereintröpfelnden Angreifern war eine Flut geworden. Doch dann hatte sich unerklärlicherweise Widerstand formiert. Die Flut war gegen eine menschliche Mauer gebrandet, und obwohl sie stieg und stieg, war sie noch nicht darüber hinweggeschwappt.
Das Schicksal Capustans hing jetzt von jenen Verteidigern ab. Und Itkovian konnte nichts weiter tun als zusehen, während alles auf Messers Schneide stand.
Karnadas war unten, im Hof bei den Unterkünften. Er erschöpfte sein Denul-Gewirr, kämpfte gegen die wie auch immer geartete Infektion an, von der es befallen war, und schaffte es trotzdem immer noch, verwundete Graue Schwerter zu heilen. Irgendetwas war im Knecht geschehen, geschah gerade jetzt, in diesem Augenblick – die ganze Festung glühte, war von einem farblosen Halbschatten umgeben. Itkovian wollte den Destriant danach fragen, doch bisher hatte sieh noch keine Gelegenheit dazu ergeben.
Auf der Leiter waren Schritte zu vernehmen. Der Schild-Amboss wirbelte herum.
Ein Bote tauchte auf, dessen Gesicht auf einer Seite schrecklich verbrannt war; rote, blasenbedeckte Haut zog sich vom Unterkiefer bis zum Rand seines Helms, bildete dort einen Wulst. Das Auge auf dieser Seite war von unzähligen Falten und Runzeln umgeben und so dunkel wie eine Rosine.
Er kletterte von der Leiter, und hinter ihm sah Itkovian Karnadas heraufsteigen.
Der Destriant sprach als Erster, während er noch halb in der Bodenluke steckte. »Er hat darauf bestanden, Euch zuerst Bericht zu erstatten. Für das Auge kann ich nichts tun, aber die Schmerzen – «
»Gleich«, schnappte Itkovian. »Bote, erstattet Euren Bericht.«
»Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass es so lange gedauert hat«, keuchte der junge Mann.
Die Augen des Schild-Amboss weiteten sich. »Ihr beschämt mich, Soldat. Es ist kaum mehr als einen Glockenschlag her, seit ich Euch zum Westtor geschickt habe.«
»Die Pannionier waren bis zur Tular-Trutz durchgebrochen, Schild-Amboss. Senar-Trutz war gefallen, die Bewohner abgeschlachtet. Alle. Auch die Kinder … Herr, es tut mir Leid, aber die entsetzlichen Bilder wollen nicht weichen …«
»Weiter.«
»Der Jehbar-Turm war umzingelt, seine Verteidiger wurden belagert. So war die Lage, als ich dort angekommen bin, Herr. Unsere Soldaten waren zerstreut, sie haben in kleinen Gruppen gekämpft, und viele von ihnen waren von Feinden umringt. Unsere Leute wurden niedergemetzelt, wohin ich auch geblickt habe.« Er machte eine Pause, holte tief und zittrig Luft und fuhr dann fort: »So hat es ausgesehen, als ich dort angekommen bin. Und gerade als ich mit diesen Neuigkeiten zu Euch zurückkehren wollte, wurde ich … abgezogen – «
»Ihr wurdet was?«
»Ich bitte um Entschuldigung, Herr. Mir fällt kein anderes Wort ein. Ein Fremder ist aufgetaucht, mit vielleicht einem Dutzend capanischer Gefolgsleute, so eine Art Miliz, Herr. Und ein Lestari-Sergeant. Der Mann hat den Befehl übernommen – über alle, die da waren. Auch über mich. Schild-Amboss, ich habe protestiert – «
»Dieser Mann verfügte offensichtlich über eine gewaltige Überredungsgabe. Erzählt weiter, Soldat.«
»Der Fremde hat seine eigenen Leuten die Tür zur Tular-Trutz aufbrechen lassen. Er hat ihre Bewohner aufgefordert, herauszukommen und zu kämpfen. Für ihre Kinder – «
»Und hat er sie überzeugt?«
»Herr, er hatte ein Kind aus der Senar-Trutz in den Armen – oder besser das, was noch von ihm übrig war. Die Feinde, Herr – die Pannionier – irgendjemand hatte angefangen, das Kind zu essen – «
Karnadas trat von hinten an den jungen Mann heran, legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Er hat sie überzeugt«, sagte Itkovian.
Der Bote nickte. »Der Fremde – er hat dann … er hat dann das, was noch von der Tunika des Kindes übrig war, genommen
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