Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
Vom Netzwerk:
ist, nicht wahr? Und wieder mal Oliven, ohne Zweifel. Wenn du immer noch dem Glauben nachhängst, dass Olivensteine ein tödliches Gift sind, warum bist du dann so sorglos, wenn du die besagten Früchte isst? Ach, ist nicht weiter wichtig …«
    »Meim! Keine Ope’adion! Bidde michd!«
    »Was brabbelst du da, Mann? Sei still! Und wisch dir den Mund ab, du sabberst, und das ist unästhetisch. Glaubst du denn, ich sehe nicht, dass du Schmerzen hast? Dir sind gerade die Tränen in die Augen getreten, und du bist blass – totenblass. Und du zitterst! Wir dürfen keinen Augenblick verlieren! Korbal Broach! Komm heraus, bitte, und bring deine schwarze Tasche mit! Korbal!«
    Der Wagen begann zur Antwort leicht zu schaukeln.
    Grantl wendete sein Pferd. Itkovian tat es ihm nach.
    »Dann bis später, meine Herren!«, rief Bauchelain hinter ihnen her. »Seid versichert, dass ich Euch für Euren Hinweis hinsichtlich des Gesundheitszustands meines Dieners dankbar bin. Genauso dankbar, wie er es zweifellos ist, und wenn er in der Lage wäre, verständlich zu sprechen, würde er Euch das gewiss auch sagen.«
    Grantl hob die Hand und winkte brüsk.
    Dann setzten sie sich in Bewegung, um sich wieder Trakes Legion anzuschließen.
    Einige Zeit sagte keiner der beiden ein Wort, bis ein merkwürdig gedämpftes Geräusch von Grantl Itkovian aufblicken ließ. Und dann sah er, dass das Todbringende Schwert lachte.
    »Was erheitert Euch so, mein Herr?«
    »Ihr, Itkovian. Ich vermute, Reese wird Eure Fürsorge für den Rest seiner Tage verfluchen.«
    »Das wäre eine merkwürdige Art, Dankbarkeit zu zeigen. Wird er denn nicht geheilt werden?«
    »Oh doch, ich bin mir sicher, das wird er. Aber hier habt Ihr etwas, worüber Ihr ein bisschen nachdenken könnt, wenn Ihr wollt: Manchmal ist die Behandlung schlimmer als die Krankheit.«
    »Könnt Ihr das näher erklären?«
    »Fragt Emancipor Reese, wenn Ihr ihn das nächste Mal seht.«
    »Sehr schön, genau das werde ich tun, mein Herr.«
     
    Der Gestank von Rauch hing an den Wänden, und es gab genug alte Flecke auf den Teppichen, die bewiesen, dass in den Gängen und Vorzimmern und Anbauten ein Gemetzel unter den Akolythen stattgefunden hatte.
    Coll fragte sich, ob der Vermummte wohl erfreut darüber gewesen war, dass seine eigenen Kinder zu ihm geschickt wurden, noch dazu in seinem eigenen, geheiligten Gebäude.
    Es schien nicht leicht zu sein, einen Ort zu entweihen, der dem Tode geweiht war. Der Daru konnte den Atem unverminderter Macht spüren, kühl und gleichgültig, als er auf der Steinbank vor der Grabkammer saß.
    Murillio schritt in dem breiten Hauptkorridor zu seiner Rechten auf und ab, geriet dabei immer wieder in Colls Blickfeld und verließ es ebenso oft wieder.
    In dem heiligen Gemach hinter Coll bereitete der Ritter des Todes einen Platz für die Mhybe. Drei Glockenschläge waren verklungen, seit der erwählte Diener des Vermummten die Grabkammer betreten und die Türflügel sich hinter ihm geschlossen hatten.
    Coll wartete, bis Murillio das nächste Mal auftauchte. »Er kann seine Schwerter nicht loslassen.«
    Murillio blieb stehen, warf Coll einen Blick zu. »Und?«
    »Nun«, brummte Coll, »es könnte schon sein, dass er drei Glockenschläge braucht, um ein Bett vorzubereiten.«
    Sein Freund blickte ihn misstrauisch an. »Sollte das witzig sein?«
    »Eigentlich nicht. Ich habe einfach nur praktisch gedacht. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie unbeholfen man ist, wenn man irgendetwas tun will, solange man noch zwei Schwerter in den Händen hat. Das ist alles.«
    Murillio öffnete den Mund, um etwas zu sagen – dann änderte er leise fluchend seine Meinung, drehte sich um und begann wieder, auf und ab zu gehen.
    Sie hatten die Mhybe vor fünf Tagen in den Tempel getragen, hatten sie in einem Raum untergebracht, der einst einem ranghohen Priester gehört hatte. Sie hatten den Wagen entladen und ihre Lebensmittel und ihr Wasser in den Keller gepackt, inmitten der Scherben von Hunderten von zerschmetterten Krügen; die Wände und der Fußboden waren klebrig vom Wein, und die Luft war dumpf, widerlich und stank wie die Schürze eines Schenkenwirts.
    Alles hatte seither irgendwie nach Wein geschmeckt und Coll an die knapp zwei Jahre erinnert, die er als Trinker vergeudet hatte, so tief in den dunklen Wassern des Elends versunken, wie es nur ein Mann sein kann, der in sein Selbstmitleid verliebt ist. Er hätte den Mann, der er damals gewesen war, jetzt gerne als Fremden

Weitere Kostenlose Bücher