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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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die sie von ihrer längst toten Mutter gelernt haben musste. Eine winzige Kleinigkeit, doch sie verlieh ihr eine herzzerreißende Würde, die Paran die Tränen in die Augen trieb.
    »Woran wird sie sich erinnern?«, flüsterte Kilava.
    »Hoffentlich an nichts«, antwortete der Schnelle Ben. »Talamandas und ich werden uns … äh, darum kümmern.«
    Ein leises Geräusch aus der Richtung des Sehers ließ Paran zu ihm hinüberblicken. Der Jaghut stand zitternd da, die unmenschlichen Augen unverwandt auf das zögernd näher kommende Kind gerichtet – das ihn nun gesehen hatte, aber ganz eindeutig nach jemand anderem suchte. Ihre Schritte wurden langsamer.
    »Geh zu ihr«, sagte Paran zu dem Seher.
    »Sie erinnert sich … an einen Bruder – «
    »Und findet jetzt einen Onkel.«
    Er zögerte noch immer. »Wir Jaghut sind nicht … sind nicht dafür bekannt, Mitleid mit unseren Blutsverwandten zu haben – «
    Paran schnitt eine Grimasse. »Und wir Menschen? Du bist nicht der Einzige, der solche Dinge anstrengend findet. Es gibt vieles, das du in Ordnung bringen musst, Pannion, angefangen mit dem, was in deinem Innern ist, mit dem, was du getan hast. Darin lass dich von dem Kind – deiner Schwester – führen. Geh schon, verdammt – ihr braucht einander.«
    Er stolperte vorwärts, zögerte noch einmal, drehte sich um und blickte Paran in die Augen. »Mensch, das, was ich getan habe – deinem Freund angetan habe, Toc dem Jüngeren –, das bedaure ich jetzt.« Sein Blick wanderte zu Kilava. »Du hast gesagt, du hast Verwandte, Knochenwerferin. Einen Bruder.«
    Sie schüttelte den Kopf, als sähe sie seine Frage voraus. »Er ist ein T’lan Imass. Hat das Ritual vollzogen.«
    »Dann scheint es mir, als hättest du, genau wie ich, einen weiten Weg zurückzulegen.«
    Sie neigte den Kopf. »Einen Weg zurücklegen?«
    »Den Weg zur Erlösung, Knochenwerferin. Du sollst wissen, dass ich dir nicht vergeben kann. Noch nicht.«
    »Und ich dir nicht.«
    Er nickte. »Wir müssen beide noch viel lernen.« Mit diesen Worten drehte er sich erneut um. Er straffte sich und ging auf seine Schwester zu.
    Sie kannte ihre eigene Art und hatte ihre Liebe, ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit, noch nicht verloren. Und noch bevor Pannion seine Hände nach ihr ausstreckte, streckte sie ihm die geöffneten Arme entgegen.
     
    Von den geriffelten, gewölbten Wänden der große Höhle strömte wässriger Schlamm. Paran starrte zu dem nächsten mit Diamanten besetzten Riesen hinauf, der die gewaltigen Arme zur Decke erhoben hatte. Er schien sich vor seinen Augen aufzulösen. Die Infektion von Brands Fleisch zeigte sich nur allzu offensichtlich als flammend rote Streifen, die von einem Fleck direkt über ihm ausgingen.
    Der Riese war nicht allein – auf der gesamten Länge der Höhle, so weit sein Auge in beide Richtungen sehen konnte, standen noch mehr der gewaltigen, kindlichen Diener. Wenn sie die Ankunft der Neuankömmlinge bemerkt hatten, so ließen sie es sich nicht anmerken.
    »Sie schläft«, murmelte Kilava, »um zu träumen.«
    Der Schnelle Ben warf ihr einen Blick zu, sagte jedoch nichts. Der Magier schien auf irgendetwas zu warten.
    Paran schaute auf die Stockschlinge – Talamandas – hinunter. »Du warst einmal ein Barghast, oder?«
    »Das bin ich immer noch, Herr der Drachenkarten. Meine neu geborenen Götter sind in mir.«
    In Wirklichkeit ist in dir mehr von der Präsenz des Vermummten als von der deiner Barghast-Götter. Doch der Hauptmann nickte nur. »Du warst der Grund dafür, dass der Schnelle Ben seine Gewirre benutzen konnte.«
    »Ja, aber ich bin noch viel mehr als das.«
    »Zweifellos.«
    »Da kommt sie«, verkündete der Schnelle Ben erleichtert.
    Paran drehte sich um und sah eine Gestalt durch den langen, gewundenen Tunnel näher kommen. Uralt, in Lumpen gehüllt, stützte sie sich auf zwei Stöcke.
    »Willkommen!«, rief der Schnelle Ben. »Ich war mir nicht sicher – «
    »Der Jugend fehlt es an Glaube, und du, Wüstenschlange, machst da keine Ausnahme!« Sie stützte sich auf einen ihrer Gehstöcke, nestelte einen Augenblick in den Falten ihres Gewands herum und zog dann einen kleinen Kieselstein heraus. »Du hast mir das hier dagelassen, ja? Dein Ruf wurde gehört, Magier. Also, wo sind diese grausamen Jaghuts? Oh, und dazu noch eine Knochenwerferin und Wechselgängerin. Meine Güte, was für eine außergewöhnliche Gemeinschaft – was für eine Geschichte muss das sein, die euch alle zusammengebracht hat! Nein,

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