SdG 05 - Der Tag des Sehers
hatte niemals vor, mich eurem Wunsch lange zu widersetzen – nur bis, bis …«
»Wir verstehen. Du brauchst nicht zu weinen. Nicht um uns, nicht um dich selbst.«
»I-ich werde euch jetzt befreien, so wie ich es mit den T’lan Ay gemacht habe – ich werde euren Schwur beenden, Pran Chole, um euch zu befreien – damit ihr durch das Tor des Vermummten gehen könnt, wie ihr es gewünscht habt.«
»Nein, Beschwörerin.«
Sie starrte ihn an, sprachlos.
»Wir haben gehört, was Lanas Tog, die Kriegerin an deiner Seite gesagt hat. Es gibt Verwandte, Beschwörerin, die auf einem Kontinent weit im Süden vernichtet werden. Sie können ihrem Krieg nicht entfliehen. Wir werden dorthin gehen. Wir müssen unsere Brüder und Schwestern retten.
Beschwörerin, wenn unsere Aufgabe erfüllt ist, werden wir zu dir zurückkehren. Die Vergessenheit suchen, die uns erwartet.«
»Pran Chole …«Ihre Stimme brach. »Ihr wollt in eurer Qual ausharren …«
»Wir müssen unsere Verwandten retten, Beschwörerin, wenn es uns möglich ist. Innerhalb des Schwurs bleibt uns unsere Macht. Sie wird benötigt werden.«
Sie richtete sich langsam auf, unterdrückte ihren Kummer, ihr Zittern. »Dann werde ich euch begleiten, Pran Chole. Wir werden euch begleiten. Nachtfrost, Flickenseel, Bellurdan und Silberfuchs.«
Der Knochenwerfer schwieg eine Weile, dann sagte er: »Wir sind geehrt, Beschwörerin.«
Silberfuchs zögerte, fragte dann doch. »Ihr habt euch … verändert. Was hat Itkovian getan?«
Ein Meer von Köpfen in Knochenhelmen neigte sich bei diesem Namen, und dieser Anblick verschlug ihr den Atem. Beim Abgrund, was hat der Mann getan?
Es dauerte einige Zeit, bis Pran Chole antwortete. »Sieh dich um, Beschwörerin. Sieh dir das Leben in dieser Sphäre an. Spüre die Kraft, die hier in dieser Erde ist.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz. Diese Sphäre ist jetzt die Heimat der Tier-Throne, Hier gibt es Rhivi-Geister … zwei Wolfsgötter …«
Pran Chole nickte. »Und noch mehr. Du hast, vielleicht unabsichtlich, eine Sphäre geschaffen, in der der Schwur von Teilann sich entwirrt. Die T’lan Ay … jetzt wieder sterblich – diese Geste war einfacher, als du erwartet hattest, ist es nicht so? Beschwörerin, Itkovian hat unsere Seelen befreit und in dieser Sphäre, die du geschaffen hast, einen Platz gefunden. Für uns.«
»Ihr seid … erlöst worden!«
»Erlöst? Nein, Beschwörerin. Das kannst nur du. Die T’lan Imass sind geweckt worden. Unsere Erinnerungen – sie leben wieder, in der Erde unter unseren Füßen. Und sie sind das, wozu wir zurückkehren werden, an dem Tag, da du uns freilässt. Beschwörerin, wir haben nach dieser Befreiung nichts als Vergessen erwartet. Wir hätten uns niemals vorstellen können, dass es eine Alternative geben könnte.«
»Und jetzt?«, flüsterte sie.
Pran Chole reckte den Kopf. »Es übersteigt unser Begriffsvermögen, was ein sterblicher Mann so willig umarmt hat.« Er drehte sich um und machte sich auf den Weg zu den Reihen seiner Verwandten, blieb noch einmal stehen und schaute zu ihr zurück. »Beschwörerin.«
»Ja.«
»Eine Aufgabe wartet noch auf uns … bevor wir die lange Reise antreten …«
Tippa saß auf einem rußgeschwärzten Grundstein, die Augen vor Erschöpfung stumpf, und sah, wie die Rhivi durch die Trümmer schritten und immer noch nach Leichen suchten. Es waren pannionische Soldaten dabei, unbewaffnet – anscheinend waren die einzigen Bürger, die in der Stadt geblieben waren, entweder tot oder bis auf die Knochen abgenagt.
Die Brückenverbrenner, die in der Festung umgekommen waren, waren bereits auf einem Wagen hinausgebracht worden – Tippa und ihr armseliger Trupp hatten die meisten auf ihrem Weg nach draußen mitgenommen, selbst als das Gebäude um sie herum einzustürzen begann. Eine Hand voll weiterer Leichen waren mittels Zauberei gefunden und herausgeholt worden, von den Tiste Andii, von denen sich einige immer noch in der Nähe aufhielten, als warteten sie auf irgendetwas oder irgendjemanden. Die beiden Einzigen, die niemand gefunden hatte, waren der Schnelle Ben und Paran, und Tippa vermutete, dass das daran lag, dass sie gar nicht da waren.
Fackeln erleuchteten die Gegend, doch ihre Bemühungen, die unnatürliche Dunkelheit zu bekämpfen, die sich auf die Stadt herabgesenkt hatte, wirkten kläglich.
Die Luft stank nach Rauch und Mörtelstaub. In der Ferne erklangen immer wieder Schmerzensschreie, wie Erinnerungen,
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