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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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sein könnte?«, wandte Murillio sich an Coll.
    »Scheint, als hätte Bruth einen Wutanfall gehabt.«
    »Bei den Göttern! Wer hat ihn wohl dazu gebracht? Kallor? Dieser Bastard verdient – «
    »Das war nicht Kallor, mein Freund«, erwiderte Coll grollend. »Aber du darfst noch einmal raten – es sollte eigentlich nicht lange dauern, bis du darauf kommst.«
    Murillio stöhnte auf. »Kruppe.«
    »Der Vermummte weiß, er hat unser aller Geduld das eine oder andere Mal auf eine schwere Probe gestellt … nur war keiner von uns in der Lage, die halbe Welt in Stücke zu schlagen und neue Berge himmelwärts zu schleudern.«
    »Ist der elende Zwerg dabei umgekommen? Ich kann kaum glauben – «
    »Es heißt, er sei ohne einen Kratzer davongekommen. Typisch. Und dass er sich nur über den Staub beklagt hat. Es ist auch sonst niemand verletzt worden, obwohl ein wütendes Maultier dem Kriegsherrn beinahe mit einem Tritt den Schädel zertrümmert hätte.«
    »War das Kruppes Maultier? Das im Gehen schläft?«
    »Stimmt, genau das.«
    Es schläft. Und träumt bestimmt davon, ein Pferd zu sein. Prächtig, groß, wild …
    »Das Biest ist in der Tat seltsam. Ich habe noch nie ein Maultier gesehen, das so … so wachsam war. In jeder Hinsicht. Bei der Königin der Träume, eine so merkwürdige Gebirgskette habe ich ja noch nie gesehen.«
    »Ja, Murillio, sie sieht größer aus, als sie eigentlich ist. Eine optische Täuschung. Ein zerklüfteter Grat, wie etwas, was du ganz fern am Horizont sehen kannst, aber da ist er, keine halbe Länge von uns entfernt. Es lohnt nicht, darüber nachzudenken, wenn du mich fragst …«
    Es gibt nichts, worüber nachzudenken sich lohnen würde. Keine Berge, keine Maultiere, auch nicht Bruths Zorn. Seelen bedrängen meine Tochter, dort, in ihrem Innern. Zwei Frauen und ein Thelomen namens Schädelzerschmetterer. Zwei Frauen und ein Mann, die ich noch nie gesehen habe … doch ich habe dieses Kind in mir getragen. Ich, eine Rhivi, jung, in der Blüte meines Lebens, wurde in einen Traum hineingezogen – und dann wurde der Traum wahr. Aber wo bin ich in meiner Tochter? Wo ist das Blut, das Herz der Rhivi?
    Sie hat nichts von mir, überhaupt nichts. Ich war ein Gefäß – und nichts weiter – um eine Fremde zu beherbergen und auf diese Welt zu bringen.
    Sie hat keinen Grund, nach mir zu sehen, mich zu besuchen, meine Hand zu halten und mich zu trösten. Meine Aufgabe ist erfüllt. Und hier liege ich, ein weggeworfenes Ding. Vergessen. Eine Mhybe.
    Eine Hand legte sich sanft auf ihre Schulter.
    »Ich glaube, sie ist wieder eingeschlafen.« Das war Murillios Stimme.
    »Es ist am besten so«, murmelte Coll.
    »Ich kann mich an meine eigene Jugend erinnern«, fuhr der Daru leise und nachdenklich fort.
    »Ich kann mich auch an deine Jugend erinnern, Murillio.«
    »Wild und verschwenderisch – «
    »Jede Nacht eine andere Witwe, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Ich war tatsächlich ein Magnet, und du weißt ja, es war alles so leicht – «
    »Das haben wir gemerkt.«
    Er seufzte. »Aber so ist es nicht mehr. Ich bin älter geworden, habe den Preis für die Tage meiner Jugend gezahlt …«
    »Für die Nächte, meinst du wohl.«
    »Was auch immer. Neue Rivalen sind aufgetaucht. Junge Burschen von edlem Blut. Marak von Paxto, groß und geschmeidig, nach dem sich die Köpfe drehen, wo immer er umherschlendert. Dieser blasierte Bastard. Und dann ist da Perryl von M’necrae – «
    »Also wirklich, Murillio, verschone mich damit.«
    »Die Sache ist die, es war eine gewisse Zeitspanne so – ein paar Jahre lang. Ausgefüllte Jahre. Vergnügliche Jahre. Und wenn ich auch auf dem absteigenden Ast bin, kann ich doch zumindest zurückblicken und mich an meine Tage – in Ordnung, meine Nächte – voller Glanz erinnern. Aber diese arme Frau hier …«
    »Ja, ich verstehe, was du meinst. Sind dir jemals diese kupfernen Schmuckstücke aufgefallen, die sie trägt? Da, zum Beispiel das Paar an den Handgelenken. Es sind Geschenke von Kruppe, aus Darujhistan.«
    »Was ist damit?«
    »Nun, wie ich schon gesagt habe. Sind sie dir jemals aufgefallen? Es ist merkwürdig. Sie werden heller, glänzender, wenn sie schläft.«
    »Wirklich?«
    »Ich würde es auf einen Stapel von Kruppes Taschentüchern schwören.«
    »Wie eigenartig.«
    »Jetzt sind sie allerdings ziemlich matt …«
    Die beiden Männer, die sich über sie beugten, schwiegen. Nach mehreren Herzschlägen drückte die Hand, die auf ihrer Schulter ruhte,

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