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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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dann verzog er das Gesicht. »Der Schnelle Ben.«
    Elster nickte langsam. »Ich nehme es an. Ich bin mir nicht sicher – beim Vermummten, ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben ist, aber so wie ich ihn kenne, ist er es. Wahrscheinlich sogar sehr lebendig. Und wenn ich daran denke, wie erschüttert er war, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er keinerlei Illusionen mehr und ist alles andere als unwissend.«
    »Und er ist alles, was wir haben? Um den Verkrüppelten Gott auszutricksen?«
    »Hohefaust, wenn Kruppe das größte Genie dieser Welt ist, dann ist der Schnelle Ben nur einen Schritt hinter ihm. Einen sehr kleinen Schritt.«
    Draußen vor dem Zelt vernahmen sie Schreie, dann Fußgetrappel. Einen Augenblick später zog der Standarten-Träger Artanthos die Zeltklappe beiseite und trat herein. »Hohefaust, Kommandant – ein einzelner Moranth ist gesichtet worden. Er kommt aus Nordosten. Es ist Twist.«
    Elster stand auf; er ächzte angesichts der Kaskade von Schmerzen, die die Bewegung hervorrief. »Bei der Königin der Träume, anscheinend werden wir ein paar Neuigkeiten erfahren.«
    »Dann wollen wir hoffen, dass es gute Neuigkeiten sind«, grollte Dujek. »Ich für meinen Teil könnte ein paar gebrauchen.«
     
    Ihr Gesicht war gegen die von Flechten überzogenen Steine gepresst, das Gefühl von Rauheit verschwand, als ihr Schweiß die zerzauste Pflanze nässte. Ihr Herz dröhnte, und sie atmete in keuchenden Zügen, während sie wimmernd dalag, zu müde, um weiterzurennen, zu müde, um auch nur den Kopf zu heben.
    In der Tundra ihrer Träume waren neue Feinde aufgetaucht. Diesmal wurde sie nicht von der Gruppe von Fremden verfolgt.
    Diesmal war sie von Wölfen aufgespürt worden. Von riesigen, hageren Kreaturen, größer als alle, die sie jemals in ihrem wachen Leben gesehen hatte. Sie waren auf dem Grat einer Hügelkette im Norden in ihr Blickfeld getrottet. Acht langbeinige Tiere mit hoch gewölbten Schultern, deren Fell sich den gedämpften Farben der umliegenden Landschaft anpasste. Der vorderste hatte sich umgedreht, als habe er in dem kalten, trockenen Wind ihre Witterung aufgenommen.
    Und die Jagd hatte begonnen.
    Anfangs hatte die Mhybe die Schnelligkeit ihrer jungen, geschmeidigen Beine in vollen Zügen genossen. So schnell wie eine Antilope – schneller als jeder sterbliche Mensch jemals hätte laufen können – war sie durch das unfruchtbare Land geflohen.
    Die Wölfe hatten Schritt gehalten, ohne zu ermüden, wobei das Rudel auch zu den Seiten hin ausgeschwärmt war; gelegentlich war einer vorgeprescht, war von der einen oder anderen Seite herangeschossen, hatte sie gezwungen, kehrtzumachen.
    Wieder und wieder hatten die Kreaturen es irgendwie geschafft, sie den Hang hinaufzutreiben, wenn sie versucht hatte, zwischen den Hügeln auf ebenem Gelände zu bleiben. Und sie begann zu ermüden.
    Der Druck ließ niemals nach. In ihre Gedanken schlich sich – zusätzlich zu den zunehmenden Schmerzen in den Beinen, dem Feuer in ihrer Brust und der scharfen trockenen Agonie ihrer Kehle – die entsetzliche Erkenntnis, dass Flucht unmöglich war. Dass sie sterben würde. Niedergerissen wie jedes andere Tier, dazu verdammt, dem Hunger der Wölfe zum Opfer zu fallen.
    Denn für diese Wölfe – das wusste sie – bedeutete das Meer ihrer Gedanken, das nun zu einem wilden Sturm aus Panik und Verzweiflung aufgewühlt wurde, nichts. Sie waren Jäger, und was in der Seele ihrer Beute wohnte, war für sie nicht von Belang. Genau wie bei der Antilope, dem Bhederin-Kalb, dem Ranag – Anmut und Wunder, Versprechen und Potenzial ausschließlich und allein reduziert auf Fleisch.
    Die letzte Lektion des Lebens, die einzig wahre, begraben unter einer Vielzahl von übereinander geschichteten Täuschungen.
    Früher oder später, das verstand sie jetzt, sind wir alle nichts anderes als Futter. Ob für Wölfe oder Würmer, ob das Ende abrupt oder schleichend kam, spielte nicht die geringste Rolle.
    Wimmernd, halb blind, stolperte sie einen weiteren Hang hinauf. Sie waren nahe. Sie konnte hören, wie ihre Pfoten vom Wind getrocknete Flechten und Moos zerrissen. Zu ihrer Linken, zu ihrer Rechten, immer näher, ein kurzes Stück vor ihr. Mit einem Aufschrei geriet die Mhybe ins Stolpern, fiel vornüber auf den felsigen Gipfel. Sie schloss die Augen, wartete auf den Schmerz, auf die Zähne, die sich in ihr Fleisch schlugen.
    Die Wölfe umkreisten sie. Sie hörte sie; sie kreisten und kamen dann in

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