SdG 05 - Der Tag des Sehers
herunternehmen. Wir werden Fürst Jelarkan zu seinem Thron zurückbringen, an den Platz, der ihm rechtmäßig zusteht. Und diesen Raum werden wir nun halten. Für einige Zeit. Im Namen des Fürsten.«
»Das Erste Kind – «
Itkovian sah sie an. »Wir werden den jungen Mann wiedersehen. Ich bin seine einzige Rettung, Hauptmann, und ich werde ihn nicht im Stich lassen.«
»Ihr seid der Schild-Amboss«, intonierte sie.
»Ich bin der Schild-Amboss.« Ich bin Feners Kummer. Ich bin der Kummer der Welt. Und ich werde aushalten. Ich werde alles aushalten, denn wir sind noch nicht am Ende.
Kapitel Vier
Was die Seele aufnehmen kann, kann das Fleisch niemals ergründen.
Der Traum des Fener
Imarak, der Erste Destriant
D
ie raue Haut war heiß, fiebrig, und sie bewegte sich wie ein feuchter, mit Felsbrocken gefüllter Sack. Der Körper der Matrone sonderte ein ätzendes Öl ab, das die zerfetzten Kleider Tocs des Jüngeren längst durchdrungen hatte. Sie hatte die gewaltigen Arme in einer stürmischen Umarmung um ihn geschlungen, und als die riesige, aufgeblähte K’Chain Che’Malle sich jetzt auf dem sandigen Boden bewegte, rutschte er zwischen Hautfalten hindurch.
In der Höhle herrschte Dunkelheit.
Der Lichtschimmer, den er gelegentlich sah, entstand in seinem eigenen Kopf. Illusionen, die vielleicht Erinnerungen waren. Zerrissene, bruchstückhafte Szenen von niedrigen Hügeln, die mit gelbem Gras bewachsen im warmen Sonnenlicht lagen. Gestalten, die sich am äußersten Rand seines Blickfelds bewegten. Einige von ihnen trugen Masken. Eine war nichts weiter als tote Haut, die über kräftige Knochen gespannt war. Eine andere war … schön. Perfekt. Er glaubte an keine von ihnen. Ihre Gesichter waren die Gesichter des Wahnsinns, die bedrohlich immer näher rückten, neben seiner Schulter schwebten.
Wenn der Schlaf sich seiner bemächtigte, träumte er von Wölfen. Er jagte, nicht um zu fressen, sondern um etwas zu überbringen … etwas anderes; er wusste nicht, was. Die Beute wanderte allein, die Beute floh, wenn sie ihn sah. Mit den Brüdern und Schwestern an seiner Seite verfolgte er sie. Unermüdlich. Meile um Meile glitt mühelos unter ihren Pfoten dahin. Die kleine, furchtsame Kreatur konnte ihnen nicht entkommen. Er und seine Artgenossen kamen näher, erschöpften die Beute, indem sie sie zahllose Hügel hinauftrieben, bis sie schließlich ins Straucheln geriet und zusammenbrach. Sie umzingelten sie.
Als sie näher traten, um zu überbringen … was überbracht werden musste, … verschwand die Beute.
Entsetzen, dann Verzweiflung.
Er und seine Artgenossen umkreisten die Stelle, an der sie gelegen hatte. Hoben die Köpfe zum Himmel und stießen ein klagendes Geheul aus. Heulten ohne Unterlass. Bis Toc der Jüngere blinzelnd erwachte, in der Umarmung der Matrone, während die stickige Luft in der Höhle unter den verebbenden Echos seines Geheuls zu tanzen schien. Dann würde die Kreatur ihn fester umfangen. Würde ihn winselnd mit der zahnstarrenden Schnauze im Nacken anstupsen; ihr Atem roch nach gesüßter Milch.
Die Zyklen seines Lebens. Schlaf, dann eine Wachphase, unterbrochen von Halluzinationen.
Verschwommene Szenen von Gestalten im goldenen Sonnenlicht, die Wahnvorstellung, ein kleines Kind in den Armen der Mutter zu sein, an ihren Brüsten zu saugen – die Matrone hatte keine Brüste, daher wusste er, dass dies Wahnvorstellungen waren, wurde aber dennoch von ihnen gestärkt –, und dann Zeiten, zu denen er begann, seine Blase und seinen Darm zu entleeren. Sie hielt ihn von sich weg, wenn er dies tat, so dass er nur sich selbst beschmutzte. Anschließend leckte sie ihn sauber, eine Geste, die ihm den letzten Rest seiner Würde raubte.
Ihre Umarmung brach Knochen. Je lauter er vor Schmerzen schrie, desto fester hielt sie ihn. Er hatte gelernt, stumm zu leiden. Seine Knochen heilten mit unnatürlicher Geschwindigkeit. Manchmal heilten sie schief zusammen. Er wusste, dass er missgestaltet war – seine Brust, seine Hüften, seine Schulterblätter.
Und dann kamen die Besuche. Ein geisterhaftes Gesicht, umhüllt vom runzligen Antlitz eines alten Mannes, eine Andeutung glänzender Hauer, nahm in seinem Geist Gestalt an. Gelbliche Augen, aus denen Schadenfreude leuchtete, hefteten sich auf die seinen.
Die einander überlappenden Gesichter hatten etwas Vertrautes, doch diese Erkenntnis allein brachte Toc nicht weiter.
Der Besucher sprach zu ihm.
Sie sind gefangen, mein Freund. Alle
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