SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Schritte näher kommen. Ein weiterer Schrei verkündete, dass Delum die anderen Gefallenen untersuchte.
»Kriegsführer.« Bairoths Stimme klang gepresst vor Wut.
Karsa drehte sich langsam um. »Bairoth Gild.«
Das Gesicht des massigen Kriegers war dunkel angelaufen. »Du hast den Jugendlichen entkommen lassen. Jetzt müssen wir ihn jagen, was nicht einfach sein wird, denn dies hier ist sein Land, nicht das unsere.«
»Er sollte entkommen«, entgegnete Karsa.
Bairoth blickte ihn finster an.
»Du bist doch der Schlaue unter uns«, erklärte Karsa, »warum verwirrt dich das so?«
»Er wird sein Dorf erreichen.«
»Ja.«
»Und von dem Angriff erzählen. Dass es drei Uryd-Krieger waren. Das wird sie wütend machen. Und zu fieberhaften Vorbereitungen führen.« Bairoth nickte leicht, als er fortfuhr. »Ein Jagdtrupp bricht auf, macht sich auf die Suche nach drei Uryd-Kriegern. Die zu Fuß sind. Davon ist der Jugendliche überzeugt. Denn hätten die Uryd Pferde gehabt, hätten sie sie natürlich auch benutzt. Drei gegen acht – das wäre sonst glatter Wahnsinn. So beschränkt sich der Jagdtrupp in jeder Hinsicht selbst. Drei Uryd-Krieger, zu Fuß.«
Delum hatte sich zu ihnen gesellt und sah Karsa ausdruckslos an.
»Delum Thord soll sprechen«, sagte Karsa.
»Das werde ich, Kriegsführer. Du hast dem Jugendlichen ein Bild in seine Gedanken eingebrannt. Dort wird es bleiben, und die Farben werden nicht verblassen, sondern noch intensiver werden. Die Echos der Schreie werden immer lauter durch seinen Schädel hallen. Vertraute Gesichter, für immer in einem schmerzverzerrten Ausdruck erstarrt. Dieser Jugendliche, Karsa Orlong, wird erwachsen werden. Und er wird nicht damit zufrieden sein, zu folgen – er wird anführen. Er muss anführen. Niemand wird seine Wildheit herausfordern, das glimmende Holz seines Willens, das Öl seiner Begierde. Karsa Orlong, du hast den Uryd einen Feind erschaffen, einen Feind, neben dem alle verblassen werden, die wir in der Vergangenheit kennen gelernt haben.«
»Eines Tages«, sagte Karsa Orlong, »wird dieser Rathyd-Kriegsführer vor mir niederknien. Das schwöre ich – hier, beim Blut seiner Verwandten, schwöre ich es.«
Die Luft war plötzlich frostig. Es wurde still auf der Lichtung; außer dem gedämpften Summen der Fliegen war nichts zu hören.
Delums Gesichtsausdruck war voller Furcht.
Bairoth drehte sich um. »Dieser Schwur wird dich zerstören, Karsa Orlong. Kein Rathyd kniet vor einem Uryd. Es sei denn, du lehnst seinen leblosen Kadaver gegen einen Baumstamm. Du willst das Unmögliche versuchen – doch das ist ein Weg, der in den Wahnsinn führt.«
»Das ist nur einer von vielen Eiden, die ich geschworen habe«, sagte Karsa. »Und ich werde jeden einzelnen davon halten. Seid meine Zeugen, wenn ihr es wagt.«
Bairoth, der in der Zwischenzeit den Pelz des grauen Bären und seinen skelettierten Schädel – die Trophäen der Rathyd – gemustert hatte, blickte Karsa an. »Haben wir denn eine Wahl?«
»Solange du noch atmest, lautet die Antwort nein, Bairoth Gild.«
»Erinnere mich daran, es dir eines Tages zu erzählen, Karsa Orlong.«
»Mir was zu erzählen?«
»Wie es für uns ist, in deinem Schatten zu leben.«
Delum trat zu Karsa. »Du hast Wunden, die versorgt werden müssen, Kriegsführer.«
»Ja, aber fürs Erste nur die Schwertwunde. Wir müssen zu unseren Pferden zurückkehren und weiterreiten.«
»Wie ein Pfeil der Lanyd.«
»Ja, genau so, Delum Thord.«
»Karsa Orlong«, rief Bairoth Gild, »Ich werde deine Trophäen für dich einsammeln.«
»Ich danke dir, Bairoth Gild. Wir werden auch das Bärenfell und den Schädel mitnehmen. Das könnt ihr beide behalten.«
Delum wandte sich um und blickte Bairoth an. »Nimm du sie, Bruder. Der graue Bär passt besser zu dir als zu mir.«
Bairoth nickte zum Dank und deutete dann auf den zerstückelten Krieger. »Seine Ohren und seine Zunge gehören dir, Delum Thord.«
»So sei es denn.«
Von allen Teblor-Stämmen züchteten die Rathyd die wenigsten Pferde; dennoch gab es viele breite, abwärts führende Pfade von einer Lichtung zur anderen, auf denen Karsa und seine Begleiter reiten konnten.
Auf einer der Lichtungen waren sie auf einen Erwachsenen und zwei Jugendliche gestoßen, die sich um sechs Streitrosse gekümmert hatten. Sie hatten sie mit blankgezogenen Klingen niedergeritten und nur angehalten, um die Trophäen einzusammeln und die Pferde zusammenzutreiben, wobei jeder von ihnen zwei an die
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