SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Hintergrund-Sequenz beisteuern würden, um die Schattentänzer zu ergänzen.
Lostara selbst war die ganze Sache ziemlich gleichgültig gewesen, denn sie war weit davon entfernt gewesen, eine der Besten in ihrer kleinen Rolle in der Aufführung zu sein. Aber sie erinnerte sich an den Fremden.
Er war so ganz anders gewesen als der angesäuerte alte Bidithal. Groß, schlank, mit einem lachenden Gesicht und fast schon femininen Händen mit außergewöhnlich langen Fingern – Hände, deren Anblick neue Gefühle in ihr zum Leben erweckte.
Gefühle, die sie bei ihren mechanischen Tanzbewegungen stolpern und ihren Schatten in einen Rhythmus verfallen ließen, der einen Kontrapunkt nicht nur zu denjenigen setzte, die von ihren Kameraden und Kameradinnen geworfen wurden, sondern auch zu denen der Schattentänzer selbst – als ob noch eine dritte Melodie in den Hauptraum geschlüpft wäre.
Zu auffällig, um unbemerkt zu bleiben.
Bidithal hatte sich mit dunkel angelaufenem Gesicht halb erhoben – doch der Fremde sprach als Erster.
»Ich bitte Euch, lasst den Tanz weitergehen«, sagte er, und seine Blicke kreuzten sich mit denen Lostaras. »Das Lied der Schilfgräser ist noch nie in dieser Art vorgetragen worden. Das hier ist keine freundliche Brise, was, Bidithal? Oh, nein, das ist ein ausgewachsener Sturm. Die Tänzer und Tänzerinnen sind Jungfrauen, ja?« Sein Lachen war leise, aber voll tönend. »Doch an diesem Tanz ist nichts Jungfräuliches mehr, was? Oh, welch Sturm der Begierde!«
Und jene Blicke hielten Lostara immer noch fest, und sie hatten die Begierde, die sie überwältigte, absolut durchschaut – die Begierde, die dem wilden Herumtollen ihres Schattens Form verlieh. Er hatte sie durchschaut, und da war eine gewisse, jedoch kühle … Anerkennung. Als würde er sich geschmeichelt fühlen, ohne ihr im Gegenzug eine Einladung anzubieten.
Der Fremde hatte in jener Nacht andere Aufgaben – und auch in den folgenden Nächten –, das sollte Lostara sehr viel später erkennen. Im Augenblick allerdings brannte ihr Gesicht vor Schamesröte, und sie brach ihren Tanz ab und floh aus dem Zimmer.
Natürlich war Delat nicht gekommen, um einer Schattenwerferin das Herz zu stehlen. Er war gekommen, um Rashan zu zerstören.
Delat, der, wie sich herausstellte, sowohl ein Hohepriester wie auch ein Brückenverbrenner war. Welche Gründe auch immer der Imperator gehabt haben mochte, um den Kult auszulöschen – Delats Hand war es, die ihm den Todesstoß versetzte.
Allerdings nicht allein. In der Nacht der Morde, beim Glockenschlag der dritten Stunde nach dem Lied der Schilfgräser – zwei Stunden nach Mitternacht – war da noch ein anderer gewesen, gut getarnt in den schwarzen Kleidern eines Assassinen …
Lostara wusste über das, was in jener Nacht im Rashan-Tempel von Ehrlitan geschehen war, mehr als irgendjemand sonst – mit Ausnahme der Spieler höchstpersönlich –, denn Lostara war die einzige Bewohnerin des Tempels, die verschont worden war. Zumindest hatte sie das lange Zeit geglaubt, bis der Name Bidithal wieder aufgetaucht war, in Sha’iks Armee der Apokalypse.
Oh, aber ich wurde mehr als nur verschont in jener Nacht, oder?
Delats schöne, langfingrige Hände …
Als sie am folgenden Morgen nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder den Fuß in die Straßen der Stadt gesetzt hatte, hatte sie sich der schrecklichen Erkenntnis stellen müssen, dass sie allein war, ganz allein. Was eine uralte Erinnerung wieder zum Leben erweckte – daran, wie sie am Tag nach ihrem fünften Geburtstag aufgewacht und einem alten Mann übergeben worden war, den man angeheuert hatte, um sie wegzubringen, sie in eine merkwürdige Gegend auf der anderen Seite der Stadt zu schaffen und dort zurückzulassen. Eine Erinnerung, in der noch immer die Schreie eines kleinen Mädchens nach seiner Mutter widerhallten.
Die kurze Zeitspanne von ihrem Aufbruch aus dem Tempel bis zu ihrem Eintritt bei den Roten Klingen – der neu geschaffenen Kompanie von Einheimischen aus dem Reich der Sieben Städte, die dem malazanischen Imperium Loyalität geschworen hatten – hatte ihr ganz eigene Erinnerungen geschenkt, Erinnerungen, die sie seither längst unterdrückt hatte. Hunger, Verunglimpfung, Demütigung – eine anscheinend tödliche, abwärts führende Spirale. Aber die Rekrutierungsoffiziere hatten sie gefunden, oder vielleicht hatte sie auch sie gefunden. Die Roten Klingen waren ein sichtbares Zeichen für die Sache des Imperators,
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