SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
der Beginn einer neuen Ära im Reich der Sieben Städte. Es würde Frieden herrschen. Das alles interessierte Lostara allerdings nicht. Dann schon eher das weit verbreitete Gerücht, dass die Roten Klingen versuchten, die Überbringer malazanischer Gerechtigkeit zu werden.
Sie hatte die teilnahmslosen Blicke nicht vergessen. Die Bürger, die ihrem Flehen gleichgültig gegenübergestanden hatten, die zugesehen hatten, wie der Akolyth sie einem unbekannten Schicksal entgegenzerrte. Und sie hatte auch ihre Eltern nicht vergessen.
Auf Verrat gab es nur eine Antwort – eine ganz allein –, und Lostara Yil, ehemals Hauptmann der Roten Klingen, hatte hervorragend gelernt, diese Antwort auf brutale Weise zu geben.
Und werde ich jetzt zu einer Verräterin gemacht?
Sie wandte sich von der Holzkiste ab. Sie war keine Rote Klinge mehr. Schon bald würde Perl auftauchen, und dann würden sie aufbrechen, um die völlig erkaltete Spur von Tavores unglücklicher Schwester Felisin zu suchen. Wobei sie möglicherweise Gelegenheit finden würden, den Krallen eine Klinge mitten ins Herz zu stoßen. Doch gehörten die Krallen nicht auch zum Imperium? Waren sie nicht Tanzers Leute, seine Spione und Attentäter, die tödliche Waffe seines Willens? Was hatte sie dann zu Verrätern gemacht?
Verrat war ein Rätsel. Eines, das Lostara immer unerklärlich bleiben würde. Sie wusste nur, dass Verrat die tiefsten aller Wunden schlug.
Und sie hatte vor langer Zeit geschworen, dass sie sich solche Wunden niemals wieder würde zufügen lassen.
Sie nahm ihr Schwertgehenk vom Haken über dem Bett, schlang sich den breiten Ledergürtel um die Hüfte und hakte ihn zusammen.
Und erstarrte.
Der kleine Raum vor ihr war voller tanzender Schatten.
Und in ihrer Mitte war eine Gestalt. Ein bleiches Gesicht mit entschlossenen Gesichtszügen, das die Lachfältchen in den Augenwinkeln etwas freundlicher aussehen ließen – und die Augen selbst, die – als die Gestalt sie anblickte – sich klärten wie unergründliche Teiche.
Augen, in denen sie versinken könnte, wie sie in einem plötzlichen Aufwallen spürte. Hier, jetzt, für immer.
Die Gestalt neigte andeutungsweise den Kopf und sagte: »Lostara Yil. Ihr werdet vielleicht an meinen Worten zweifeln – aber ich erinnere mich an Euch – «
Sie wich zurück, drückte den Rücken gegen die Wand und schüttelte den Kopf. »Ich kenne Euch nicht«, flüsterte sie.
»Das stimmt. Aber wir waren damals zu dritt, in jener Nacht vor so langer Zeit in Ehrlitan. Ich war Zeuge Eurer … unerwarteten Darbietung. Habt Ihr gewusst, dass Delat – oder genauer, der Mann, von dem ich schließlich erfahren sollte, dass er Delat war – Euch für sich beansprucht hatte? Nicht nur in jener einen Nacht. Ihr wärt mit ihm zu den Brückenverbrennern gekommen, und das hätte ihm sehr gut gefallen. Glaube ich zumindest. Leider gibt es keine Möglichkeit mehr, das zu überprüfen, denn nach außen hin ist alles so fürchterlich schief gegangen.«
»Ich erinnere mich«, sagte sie.
Der Mann zuckte die Schultern. »Delat, der bei jener Mission damals einen anderen Namen trug und außerdem der Verantwortung meines Kameraden unterstanden hat – Delat hat Bidithal laufen lassen. Ich nehme an, es sah wie … wie Verrat aus, nicht wahr? Zumindest hat mein Kamerad es so gesehen. Und bis zum heutigen Tag schürt Schattenthron – der damals noch nicht Schattenthron war, sondern einfach nur ein Mann, der sich auf besonders geschickte Weise und voller Ehrgeiz Rashans Schwestergewirr Meanas zu Nutze machte – also bis zum heutigen Tag, wollte ich sagen, schürt Schattenthron die ewigen Feuer der Rache. Aber Delat hat sich als sehr fähig erwiesen, sich … direkt vor unserer Nase zu verstecken. Genau wie Kalam. Nur ein weiterer unauffälliger einfacher Soldat in den Reihen der Brückenverbrenner.«
»Ich weiß nicht, wer Ihr seid.«
Der Mann lächelte. »Ach, ja, ich übertreffe mich wieder einmal selbst …« Sein Blick fiel auf die Schatten, die sich lang vor ihm erstreckten, obwohl er mit dem Rücken zu einer unbeleuchteten, geschlossenen Tür stand, und sein Lächeln wurde breiter, als würde er seine Worte nochmals überdenken. »Ich bin Cotillion, Lostara Yil. Damals war ich Tanzer, und ja, Ihr könnt die Bedeutung dieses Namens aufgrund eurer Ausbildung sehr wohl erraten. Natürlich waren im Reich der Sieben Städte einige Dinge, die mit dem Kult zusammenhingen, in Vergessenheit geraten, vor allem die wahre Natur des
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