SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Glockenschlägen, als du dich bewegt hast, Karsa Orlong. Als du den Kopf in den Nacken gelegt und angefangen hast zu schreien, obwohl du geknebelt warst. Hier ist noch mehr Wasser – du musst trinken.
Karsa, sie sagen, du hättest diesen Sturm gerufen. Verstehst du? Sie wollen, dass du ihn wegschickst – sie werden alles dafür tun, sie werden dich losbinden, dich freilassen. Sie werden alles tun, mein Freund, wirklich alles – bloß schick diesen höllischen Sturm weg. Verstehst du, was ich sage?«
Wie er jetzt sehen konnte, explodierte weiter voraus das Meer unter jedem Hieb der monströsen, schwarzen Ketten, wurden Wasserfontänen in die Höhe gewirbelt, wenn die Ketten sich wieder nach oben zurückzogen. Die aufgeblähten, schweren Wolken schienen sich nach vorn über den Ozean zu beugen und näherten sich nun von allen Seiten ihrer Position.
Karsa sah den malazanischen Kapitän vom Vorderdeck heruntersteigen; seine blaue Haut hatte einen ungesund wirkenden Graustich. »Dies ist kein von Mael gesegneter Sturm, Daru, was bedeutet, er gehört nicht hierher.« Er deutete mit einem zitternden Finger auf Karsa. »Sag ihm, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Sag ihm, dass er diesen Sturm wegschicken soll. Wenn er das getan hat, können wir verhandeln. Sag es ihm, verdammt nochmal!«
»Das habe ich schon getan, Kapitän!«, gab Torvald zurück. »Aber wie im Namen des Vermummten könnt Ihr von ihm erwarten, dass er irgendetwas wegschickt, wenn er vermutlich noch nicht einmal weiß, wo er ist? Und was noch schlimmer ist – wir wissen doch gar nicht, ob er überhaupt dafür verantwortlich ist!«
»Das werden wir ja sehen, oder?« Der Kapitän drehte sich um und winkte seinen Leuten. Ein gutes Dutzend Matrosen kam herbeigeeilt, Äxte in den Händen.
Torvald wurde heruntergezogen und auf das Deck geworfen.
Die Äxte hieben durch die dicken Taue, mit denen die Plattform am Mast festgebunden war. Noch mehr Matrosen kamen heran. An Steuerbord wurde eine Rampe vor der Bordwand aufgebaut. Holzrollen wurden unter die Plattform geschoben, während sie unsanft heruntergelassen wurde.
»Wartet!«, rief Torvald. »Ihr könnt doch nicht–«
»Oh doch, wir können«, knurrte der Kapitän.
»Dann nehmt ihm wenigstens die Ketten ab!«
»Auf gar keinen Fall, Torvald.« Der Kapitän packte einen vorüberhastenden Matrosen am Arm. »Sucht alles zusammen, was diesem Riesen gehört – das ganze Zeug, das bei dem Sklavenmeister beschlagnahmt wurde. Es wird alles mit ihm über Bord fliegen. Und beeil dich, verdammt noch mal!«
Ketten hieben auf allen Seiten so nah ins Meer, dass die Gischt bis zum Schiff spritzte, und jeder Aufprall ließ den Rumpf, die Masten und die Takelage erzittern.
Während die Plattform auf den Holzrollen die Rampe hochgezogen wurde, starrte Karsa zu den brodelnden Sturmwolken hinauf.
»Die Ketten werden dafür sorgen, dass das ganze Ding untergeht!«, sagte Torvald.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Und was ist, wenn es verkehrt herum im Wasser landet?«
»Dann ertrinkt er, und Mael kann ihn haben.«
»Karsa! Verdammt! Hör endlich auf, den Idioten zu spielen! Sag was!«
Der Krieger stieß krächzend zwei Worte hervor, doch was da über seinen Lippen kam, konnte nicht einmal er selbst verstehen.
»Was hat er gesagt?«, wollte der Kapitän wissen.
»Ich weiß es nicht!«, schrie Torvald. »Karsa, verdammt, versuch’s noch mal!«
Das tat er, stieß die gleichen gutturalen Laute aus. Immer und immer aufs Neue wiederholte er die gleichen Worte, während die Seeleute die Plattform auf die Reling hinaufzogen und schoben, bis sie in einem wackligen Gleichgewicht halb über dem Deck und halb über dem Meer hing.
Während er noch einmal die beiden Worte ausstieß, sah Karsa direkt über ihnen den letzten Flecken klaren Himmels verschwinden – als schließe sich die Öffnung eines Tunnels. Schlagartig brach Dunkelheit über sie herein, und Karsa wusste, es war zu spät, auch wenn seine Worte in der plötzlichen, von Entsetzen erfüllten Stille klar und verständlich herauskamen.
»Geht weg.«
Von oben schnellten Ketten herab, gewaltige, heranschwirrende Ketten, die – wie es schien – direkt nach Karsas Brust zielten.
Ein blendender Blitz, ein lauter Donnerschlag, das splitternde Krachen umstürzender Masten und herabstürzender Rahen und Takelage. Das ganze Schiff sackte unter Karsa weg, unter der Plattform, die wild auf der Bordwand entlangschlitterte, bis sie gegen die Reling des
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