SdG 07 - Das Haus der Ketten
dich selbst auch für schlau? Er lächelte die entfernte Mauer aus Sand an. Schlauheit war nicht lebenswichtig, vorausgesetzt, man achtete darauf, die Dinge einfach zu halten. Komplexität lockte Irrtümer an, wie eine Hure einen Soldaten auf Urlaub. Die Verlockung leiblicher Belohnungen, die sich niemals als so unkompliziert erwiesen, wie man es sich anfangs vorgestellt hatte. Aber ich werde nicht in diese Falle tappen. Ich werde mir keine tödlichen Fehltritte gestatten, so wie es Bidithal passiert ist, denn sie führen nur zu Verwicklungen – allerdings werden seine Schwächen ihn mir in die Hände spielen, also sollte ich mich nicht allzu sehr darüber beklagen.
»Das Licht der Sonne umschließt die Dunkelheit.«
Er zuckte zusammen und drehte sich um. »Erwählte!«
»Ein paar tiefe Atemzüge werden Euer pochendes Herz wieder ruhiger schlagen lassen, alter Mann. Ich kann einen Augenblick warten, denn ich bin geduldig.«
Sie stand beinahe neben ihm – natürlich hatte er keinen Schatten gesehen, denn die Sonne war vor ihm. Aber wie war sie so geräuschlos herangekommen? Wie lange hatte sie schon da gestanden? »Erwählte, seid Ihr gekommen, um mit mir zusammen die Morgenröte zu begrüßen?«
»Ist es das, was Ihr tut, wenn Ihr jeden Morgen hierher kommt? Ich hatte mich das schon länger gefragt.«
»Ich bin ein Mann mit schlichten Gewohnheiten, Herrin.«
»In der Tat. Eine gewisse schonungslose Offenheit, die eine Art Schlichtheit vortäuscht. Als ob dadurch, dass Ihr an schlichten Gewohnheiten in Bezug auf Euren Körper festhaltet, Euer Verstand im Gegenzug nach der gleichen Vollkommenheit strebt.«
Er sagte nichts, obwohl sein Herz noch immer kein bisschen langsamer geworden war.
Sha’ik seufzte. »Habe ich Vollkommenheit gesagt? Vielleicht sollte ich Euch etwas erklären, um Euch bei Eurer Suche zu helfen.«
»Bitte«, keuchte er leise.
»Die Mauer des Wirbelwinds ist im Grunde genommen undurchlässig, abgesehen von dem diffusen Sonnenlicht. Und so fürchte ich, muss ich Euch korrigieren, Febryl. Ihr blickt leider gen Nordosten.« Sie deutete mit dem Finger. »Tatsächlich ist die Sonne da drüben, Hohemagier. Ärgert Euch nicht – Ihr wart zumindest konsequent. Oh, da ist noch etwas, das ich – wie ich glaube – klarstellen sollte. Nur die wenigsten würden bestreiten, dass meine Göttin von Wut verzehrt wird, und so ihrerseits verzehrt. Doch was für Euch vielleicht so aussieht, als würden viele dem Hunger einer Einzelnen zum Opfer fallen, kann man in Wirklichkeit auch ganz anders sehen.«
»Ach?«
»Ja. Sie benutzt die Energien ihrer Anhänger nicht ausschließlich, um sich zu nähren, sondern gibt ihnen in gewisser Hinsicht auch einen bestimmten Fokus. In der Tat ist es kaum anders als bei der Mauer des Wirbelwinds da draußen, die zwar aussieht, als würde sie das Licht der Sonne verstreuen, es in Wirklichkeit jedoch einfängt. Habt Ihr jemals daran gedacht, diese Mauer zu durchqueren, Febryl? Besonders bei Einbruch der Dunkelheit, wenn die Hitze des Tages fast vollständig aufgesogen worden ist? Ihr würdet binnen eines Augenblicks bis auf die Knochen verbrennen, Hohemagier. Könnt Ihr nun also erkennen, wie etwas, das auf eine bestimmte Weise zu sein scheint, in Wirklichkeit genau das Gegenteil davon ist? Knusprig braun verbrannt – ein schreckliches Bild, oder? Man müsste schon in der Wüste geboren sein oder über mächtige magische Kräfte verfügen, um dem die Stirn zu bieten. Oder über sehr tiefe Schatten …«
Zu spät kam es Febryl in den Sinn, dass einfach zu leben nicht damit gleichgesetzt werden sollte, etwas einfach zu sehen, denn Ersteres war so edel wie lobenswert, während Letzteres eine Schwäche mit meist tödlichen Folgen war. Ein leichtsinniger Fehler, den er leider begangen hatte.
Und jetzt, folgerte er, war es zu spät.
Und was die Änderung der Pläne betraf – nun, dafür war es jetzt auch zu spät.
Irgendwie hatte der gerade beginnende Tag plötzlich all seinen Glanz verloren.
Kapitel Acht
Es hieß, dass der Junge, den der Hauptmann adoptiert hatte – zum damaligen Zeitpunkt unter dem unglücklichen Namen Wühler bekannt –, sich weigerte, während des Marsches auf einem der Wagen mitzufahren. Dass er den ganzen Weg gelaufen war, selbst als in der ersten Woche unter der heißesten Sonne des Jahres ausgebildete, gesunde Soldaten ins Straucheln kamen und hinfielen.
Dies ist vielleicht eine Erfindung, denn nach allem, was man weiß, war er zum
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