SdG 07 - Das Haus der Ketten
Gestalt den Hang hinunter. Groß, gemessenen Schritts, mit einem schmerzhaft vertrauten Gang.
Auf dem Grat hinter Tavore – auf den Graten aller Inseln aus uralten Korallen reihten sich jetzt die Soldaten auf.
Die Armee der Apokalypse schaute ebenfalls zu, vermutete Sha’ik, doch sie drehte sich nicht um.
Sie ist fort. Ich bin … im Stich gelassen worden.
Einst war ich Sha’ik. Jetzt hin ich wieder Felisin. Und da vorne kommt mir diejenige entgegen, die mich verraten hat. Meine Schwester.
Sie erinnerte sich daran, wie sie Tavore und Ganoes zugesehen hatte, die mit hölzernen Schwertern gespielt hatten. Wie sie den Pfad eingeschlagen hatten, der zu einer tödlichen Vertrautheit mit jenen Waffen und dazu, sie mit gedankenloser Leichtigkeit zu schwingen, geführt hatte. Hätte die Welt draußen sich nicht verändert – wäre alles still gestanden, in der Art, wie Kinder es glaubten –, wäre auch sie irgendwann an der Reihe gewesen. Das Klacken von Holz, Ganoes’ Lachen und seine freundlichen Anweisungen – ihr Bruder vermittelte Begeisterung und Trost in der Art, wie er das Lehren der natürlichen Freude am Spiel unterordnete. Aber dazu war es nie gekommen.
Tatsächlich war es zu kaum etwas gekommen, das jetzt als warme, vertrauensvolle, beruhigende Erinnerungen hätte zu ihr zurückkehren können.
Stattdessen hatte Tavore ihre Familie zerstückelt. Was für Felisin das Entsetzen der Sklaverei und des Bergwerks bedeutet hatte.
Aber Blut ist die Kette, die niemals reißt.
Tavore war jetzt noch zwanzig Schritte entfernt. Sie zog ihr Otataral-Schwert.
Und auch wenn wir das Haus unserer Geburt verlassen, so lassen wir es doch niemals wirklich hinter uns.
Sha’ik konnte das Gewicht ihres eigenen Schwerts spüren, das so schwer war, dass ihr Handgelenk schmerzte. Sie erinnerte sich nicht daran, es je gezogen zu haben.
Jenseits des Gewebes und der Schlitze des Visiers kam Tavore immer näher, wobei sie ihr Tempo nicht veränderte, weder langsamer noch schneller ging.
Kein Aufholen. Kein Zurückfallen. Wie sollte das auch gehen?
Uns werden immer gleich viele Jahre trennen. Die Kette spannt sich niemals an. Aber sie erschlafft auch nie. Ihre Länge ist festgelegt. Aber ihr Gewicht, oh, ihr Gewicht verändert sich ständig.
Sie war geschmeidig, leichtfüßig, haushaltete auf fast schmerzhafte Weise mit ihren Kräften. Sie war – in diesem einen Augenblick – vollkommen.
Aber für mich wiegt das Blut schwer. So schwer.
Und Felisin kämpfte dagegen an – gegen das plötzlich spürbare, überwältigende Gewicht. Kämpfte darum, die Arme zu heben – ohne darüber nachzudenken, wie diese Bewegung aufgefasst werden könnte.
Tavore, es ist in Ordnung -
Ein donnerndes Klirren, eine Erschütterung, die ihren rechten Arm hochschoss – und das lästige Gewicht des Schwerts war plötzlich nicht mehr da.
Dann hämmerte etwas gegen ihre Brust, eine betäubende Blüte aus kaltem Feuer, die durch Fleisch und Knochen stieß – und dann fühlte sie von hinten ein Zupfen, als ob jemand nach ihrer Halsberge gegriffen hätte und daran ziehen würde –, doch es war nur die Spitze, wie ihr klar wurde. Die Spitze von Tavores Schwert, die gegen die Innenseite der Rüstung stieß, die ihren Rücken schützte.
Felisin blickte nach unten auf die rostrot gefärbte Klinge, die sie durchbohrt hatte.
Ihre Beine gaben nach, und das Schwert krümmte sich plötzlich unter ihrem Gewicht.
Aber sie rutschte nicht von der fleckigen Klinge herunter.
Ihr Körper klammerte sich daran fest, ließ nur zitternd und stückchenweise los, als sie nach hinten und zu Boden stürzte.
Durch die Sichtschlitze ihres Visiers starrte sie zu ihrer Schwester hoch, einer Gestalt, die hinter einem Netz aus schwarzem, verdrehtem Eisendraht zu sehen war, der jetzt kühl auf ihren Augen ruhte und ihre Wimpern kitzelte.
Einer Gestalt, die jetzt näher kam. Die einen Stiefel hart auf ihre Brust setzte – ein Gewicht, das nun, wo es da war, ewig schien – und das Schwert herauszog.
Blut.
Natürlich. So zerbricht man eine unzerbrechliche Kette.
Indem man stirbt.
Ich hätte nur gern gewusst, warum du es getan hast, Tavore. Und warum du mich nicht geliebt hast, obwohl ich dich doch geliebt habe. Ich – ich glaube, das würde ich gerne wissen.
Der Stiefel hob sich von ihrer Brust. Aber sie konnte das Gewicht noch immer spüren.
Schwer. So furchtbar schwer …
Oh, Mutter, schau uns nur an.
Karsa Orlongs Hand zuckte heran, packte Leoman, bevor
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