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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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hat das erst sehr viel später getan. Jahrhunderte später. Vielleicht gar Jahrtausende. Damit er nicht mehr sehen konnte. Nicht mehr beobachten konnte.«
    »Und warum ist dieser Ort dann für mich von Wert?«
    »Weil er einen Weg hindurch bietet, Kriegsführer.«
    »Einen Weg durch was, Bairoth Gild?«
    »Einen Durchgang westwärts, in die Jhag-Odhan. Einen Weg, der in der Traumwelt verläuft. Solltest du dich entscheiden, ihn zu gehen, wird die Reise, die sonst mehrere Monate dauern würde, auf einige wenige Tage zusammenschrumpfen. Dieser Weg ist immer noch lebendig, denn er wurde vor nicht allzu langer Zeit benutzt. Von einer Armee.«
    »Und wie kann ich ihn gehen?«
    Dieses Mal antwortete Delum Thord: »Wir können dich führen, Karsa Orlong. Denn genau wie derjenige, der hier einst begraben wurde, sind wir weder tot noch lebendig. Der Vermummte kann unsere Geister nicht finden, denn sie sind hier, bei dir. Unsere Anwesenheit wird den Hass, den der Gott des Todes dir entgegenbringt, noch vertiefen, Kriegsführer.«
    »Den Hass?«
    »Ja. Weil du etwas genommen hast, das du ihm nicht gibst. Nicht geben willst. Willst du vielleicht selbst ein Hüter der Seelen werden? Denn genau das muss er nun befürchten. Wann hat der Vermummte es zuletzt mit einem Rivalen zu tun gehabt?«
    Karsa machte ein finsteres Gesicht und spuckte auf den Boden. »Ich habe kein Interesse daran, sein Rivale zu sein. Ich würde diese Ketten gerne zerbrechen. Ich würde selbst dich und Bairoth Gild freilassen.«
    »Es wäre uns lieber, du würdest das nicht tun, Kriegsführer.«
    »Du und Bairoth Gild, ihr beiden seid vielleicht die Einzigen, die das so sehen, Delum Thord.«
    »Na und?«, schnappte Bairoth.
    Karsa sagte nichts darauf, denn er begriff allmählich, welche Entscheidung er eines Tages – irgendwann in der Zukunft – zu treffen haben würde. Um mich meiner Feinde zu entledigen … muss ich mich auch meiner Freunde entledigen. Und so folgt uns der Vermummte … und wartet. Auf den Tag, der kommen wird.
    »Jetzt verbirgst du deine Gedanken vor uns, Karsa Orlong. Diese neue Fähigkeit gefällt uns nicht.«
    »Ich bin der Kriegsführer«, knurrte Karsa. »Es ist nicht meine Aufgabe, euch zu gefallen. Bedauert ihr jetzt, dass ihr mir folgt?«
    »Nein, Karsa Orlong. Noch nicht.«
    »Führe mich auf diesen Weg in die Traumwelt, Delum Thord.«
    Die Luft wurde plötzlich kälter, der Geruch erinnerte Karsa an Lichtungen an den Hängen hoher Gebirgszüge, wenn der Frühling kam – der Geruch von zu Leben erwachten weichen Flechten und Moos. Und direkt vor ihm, wo einen Augenblick zuvor noch in der Dunkelheit sanft wirkendes Ackerland gelegen hatte, befand sich jetzt eine Tundra unter einem wolkenverhangenen Himmel.
    Ein breiter Pfad ans zermalmten Flechten und niedergetrampeltem Moos erstreckte sich durch das wellige Land. Wie Bairoth Gild gesagt hatte, war hier eine Armee entlanggezogen, wobei die Spuren den Eindruck erweckten, als wäre das erst vor ganz kurzer Zeit geschehen. Fast erwartete er, das hintere Ende jener Marschsäule am fernen Horizont zu sehen, doch da war nichts. Nur eine leere, baumlose Landschaft, die sich in alle Richtungen erstreckte.
    Er schritt vorwärts, auf den Spuren der Armee.
    Diese Welt schien zeitlos zu sein, der Himmel unveränderlich. Gelegentlich tauchten Herden auf; sie waren zu weit entfernt, um ausmachen zu können, was für Tiere das waren, die sich da über Hügelflanken bewegten und aus dem Blickfeld verschwanden, wenn sie in die nächste Senke hinunterströmten. Hoch über seinem Kopf jagten Vögel in Pfeilformation dahin, merkwürdige Tiere mit langen Hälsen. Sie alle flogen in die Richtung, aus der Karsa gekommen war. Abgesehen vom Summen der Insekten, die um den Teblor herumschwirrten, verströmte die Landschaft eine eigenartige, geradezu unnatürliche Stille.
    Dies war also eine Traumwelt, wie sie die Ältesten seines Stammes zu besuchen pflegten, um dort Vorzeichen und Omen zu sehen. Die Landschaft war derjenigen nicht ganz unähnlich, auf die Karsa im Delirium einen Blick erhascht hatte, als er sich vor Urugal, seinem Gott wiedergefunden hatte.
    Er ging weiter.
    Schließlich wurde die Luft kälter, und Eiskristalle glitzerten zwischen den Flechten und dem Moos auf beiden Seiten des breiten Wegs. Der Geruch von faulendem Eis stieg in Karsas Nase. Die nächsten tausend Schritte brachten ihn zu der ersten, mit Dreck übersäten Schneefläche, die ein enges Tal zu seiner Rechten ausfüllte. Kurz

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