SdG 08 - Kinder des Schattens
Zeit dauerte, ehe er aufblickte und die Bestürzung in ihren Augen bemerkte.
»Ihr seid früh dran! Ich habe Euch noch nicht erwartet. Oh! Jetzt bin ich nervös. Also wirklich, Tehol! Ihr solltet klug genug sein, nicht einfach so etwas Unerwartetes zu tun! Ist das die tote Frau?«
»Wenn nicht«, erwiderte Shurq Elalle, »stecke ich in noch viel größeren Schwierigkeiten, meint Ihr nicht auch?«
Selush trat näher. »Das ist die schlechteste Einbalsamierung, die ich je gesehen habe.«
»Ich wurde nicht einbalsamiert.«
»Oh! Was für eine Ungeheuerlichkeit! Wie seid Ihr gestorben?«
Shurq zog eine leblose Augenbraue hoch. »Ich bin neugierig. Wie oft wird Euch diese Frage von Euren Kunden beantwortet?«
Selush blinzelte. »Dann tretet also ein. Ihr seid so früh dran!«
»Meine Liebe«, sagte Tehol beruhigend, »bis zum Glockenschlag um Mitternacht dauert es keine zweihundert Herzschläge mehr.«
»Eben! Seht Ihr jetzt, wie sehr Ihr mich durcheinander gebracht habt? Schnell, kommt rein, ich muss die Tür zumachen. Da! Oh, die dunklen Straßen sind so erschreckend. Nun, Süße, lasst Euch mal ein bisschen genauer ansehen. Ich fürchte, mein Diener war ungewöhnlich schweigsam.« Sie beugte sich abrupt vor, bis ihre Nase beinahe Shurqs Lippen berührte.
Tehol zuckte zusammen, doch zum Glück bemerkte es keine der beiden Frauen.
»Ihr seid ertrunken.«
»Stimmt.«
»Im Quillas-Kanal. Ein Stück stromabwärts von Schwachwinds Fleischmühlen am letzten Tag eines Sommermonats. In welchem war’s denn? Im Monat des Wanderers? Des Beobachters?«
»Im Monat des Verräters.«
»Oh! Dann muss Schwachwind in dem Monat ungewöhnlich gute Geschäfte gemacht haben. Sagt mir, schreien die Leute, wenn sie Euch sehen?«
»Manchmal.«
»Mir geht’s genauso.«
»Bekommt Ihr eigentlich häufig Komplimente für Eure Haare?«, fragte Shurq.
»Nie.«
»Nun, das war ein nettes Geplauder«, sagte Tehol hastig. »Leider haben wir nicht die ganze Nacht Zeit …«
»Wie? Aber natürlich haben wir das, dummer Mann«, sagte Selush.
»Ach, richtig. Tut mir Leid. Wie auch immer. Shurq war ein Opfer des Tauchfests und – wie sich herausstellte – eines fortdauernden Fluchs.«
»Ist das nicht immer so?« Selush seufzte und drehte sich um, ging zu dem langen Tisch an der Rückwand des Zimmers.
»Tehol hat etwas von Rosen gesagt«, meinte Shurq, die ihr folgte.
»Rosen? Ach du liebe Zeit! Nein. Zimt und Patschuli, würde ich sagen. Aber zuerst müssen wir etwas gegen den ganzen Moder und das Moos in Euren Nasenlöchern tun. Und dann ist da noch die Uhtuhluh …«
»Die was ?« , fragten Shurq und Tehol gleichzeitig.
»Sie lebt in heißen Quellen in den Blaurosebergen.« Selush drehte sich um und blickte Shurq mit hochgezogenen Brauen an. »Ein Geheimnis unter Frauen. Ich bin überrascht, dass Ihr noch nie von ihnen gehört habt.«
»Es scheint, als wäre meine Erziehung nicht vollständig gewesen.«
»Nun, eine Uhtuhluh ist eine kleine Kreatur mit einem weichen Körper, die sich durch eine Spalte ernährt, eine Art senkrechten Schlitz, der ihr als Maul dient. Ihre Haut ist mit Flimmerhärchen bedeckt, die die ungewöhnliche Eigenschaft haben, Empfindungen zu übertragen. Diese Flimmerhärchen können in der Haut Wurzeln schlagen …«
»Einen Augenblick«, sagte Tehol entgeistert. »Ihr wollt doch nicht etwa vorschlagen …«
»Die meisten Männer merken den Unterschied überhaupt nicht, aber es erhöht die Lust um ein Vielfaches – zumindest hat man mir das glaubwürdig versichert. Ich habe niemals eine in mein Inneres eingeladen, da die Einpflanzung einer Uhtuhluh eine dauerhafte Sache ist. Und sie … äh … muss ständig gefüttert werden.«
»Wie oft?«, wollte Shurq wissen, und Tehol hörte ein angemessenes Maß an Bestürzung in ihrer Stimme.
»Täglich.«
»Aber Shurqs Nerven sind tot – wie kann sie spüren, was dieses Uttudings spürt?«
»Sie sind nicht tot, Tehol Beddict, sondern einfach nur nicht erweckt. Außerdem wird es nicht lange dauern, und die Flimmerhärchen der Uhtuhluh werden ihren ganzen Körper durchdrungen haben, und je gesünder der Organismus ist, desto strahlender und kraftvoller wirkt ihr schimmerndes Fleisch.«
»Ich verstehe. Und was ist mit meinem Gehirn? Werden diese Wurzeln sich auch in ihm festsetzen?«
»Nun, das können wir nicht zulassen, nein, denn sonst würdet Ihr den Rest Eures Daseins damit verbringen, sabbernd in einem heißen Bad herumzuplantschen. Nein, wir werden
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