SdG 08 - Kinder des Schattens
Augen blickten ihn an.
»Wo habt ihr sie gefunden?«
»Sie hat es bis nach Hause geschafft«, erwiderte das Mädchen mit ausdrucksloser Stimme.
Bagg schaute erneut auf die tote Großmutter hinunter. »Von woher?«
»Von der Verschütteten Runde, hat sie gesagt.«
»Dann hat sie also noch gesprochen, ehe das Leben aus ihr gewichen ist.« Bagg biss die Zähne zusammen. Die Verschüttete Runde war zwei- , dreihundert Schritt entfernt. Die alte Frau musste eine außergewöhnliche Willensstärke besessen haben, wenn sie diese Entfernung mit zwei tödlichen Schwertwunden in der Brust zurückgelegt hatte. »Sie muss einen dringenden Grund gehabt haben, nehme ich an.«
»Uns zu sagen, wer sie getötet hat, ja.«
Statt einfach zu verschwinden, wie es so viele von den Armen tun, und so das Schreckgespenst des böswilligen Verlassenwordenseins heraufzubeschwören – eine Narbe, die man diesen Kindern nicht auch noch zufügen musste.
»Und wer war es?«
»Sie hat die Runde überquert und ist einer kleinen Gruppe über den Weg gelaufen. Sieben Männer und ihr Herr, alle bewaffnet. Der Herr war wütend, hat davon geredet, alle seine Spione würden verschwinden. Unsere Großmutter hat sie um ein bisschen Geld angebettelt. Der Herr hat vor Wut den Verstand verloren und seine Wachen angewiesen, sie zu töten. Und das haben sie getan.«
»Und ist bekannt, wer dieser Herr war?«
»Du wirst sein Gesicht auf frisch geprägten Stummeln finden.«
Oh.
Bagg kniete sich neben die alte Frau. Er legte ihr eine Hand auf die kalte, faltige Stirn und suchte nach den Überresten ihres Lebens. »Urusan von dem Clan, der unter dem Namen die Eule bekannt war. Ihre Kraft stammte aus der Liebe. Der Liebe zu ihren Enkeln. Sie ist fort, aber sie ist nicht weit weg.« Er hob den Kopf und blickte jedes der sechs Kinder an. »Ich höre das Verschieben großer Steine, das knirschende Nachgeben eines Portals, das lange verschlossen war. Da ist kalter Lehm, doch er hat sie nicht aufgenommen.« Er holte tief Luft. »Ich werde diesen Leichnam für eine Nerek-Beerdigung vorbereiten …«
»Wir würden gerne deinen Segen haben«, sagte das Mädchen.
Bagg zog die Brauen hoch. »Meinen? Ich bin kein Nerek, und ich bin auch kein Priester …«
»Wir würden gerne deinen Segen haben.«
Der Diener zögerte und seufzte dann. »Wie ihr wollt. Aber sag mir, wie werdet ihr jetzt leben?«
Wie zur Antwort entstand Unruhe am Eingang, dann kam eine große Gestalt in den kleinen Raum getrampelt, schien ihn vollständig auszufüllen. Er war jung, seine Größe und seine Gesichtszüge zeugten von Tarthenal- und Nerek-Blut. Kleine Augen hefteten sich auf Urusans Leichnam, und das ganze Gesicht verdunkelte sich.
»Und wer ist das?«, fragte Bagg. Ein Verschieben großer Steine – und jetzt dieses … dieses Beiseiteschieben eines ganzen Gebirges. Was beginnt hier?
»Unser Vetter«, sagte das Mädchen, deren Augen groß und bewundernd und flehend wurden, wenn sie den jungen Mann anblickte. »Er arbeitet im Hafen. Er heißt Unn. Unn, das hier ist der Mann, der als Bagg bekannt ist. Ein Ankleider der Toten.«
Unns Stimme war so leise, dass sie kaum zu verstehen war. »Wer hat das getan?«
Oh, Finadd Gerun Eberict, bei deinem sinnlosen Blutfest wirst du einen ungebetenen Gast haben, und irgendetwas sagt mir, dass dir das überhaupt nicht gefallen wird.
Selush vom Stinkenden Haus war groß und wohl proportioniert, doch ihr bemerkenswertestes Merkmal waren ihre Haare. Siebenundzwanzig kurze Zöpfe aus dichtem schwarzem Haar, die in alle Richtungen abstanden, jeder um eine Geweihsprosse gewoben, was dazu führte, dass die Zöpfe auf absonderliche Weise verdreht und gewunden waren. Sie war irgendwo zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahre alt, wobei diese Ungewissheit das Ergebnis ihres herausragenden Talents war, Schwachpunkte zu vertuschen. Die violette Farbe ihrer Augen verdankte sie einer ungewöhnlichen Tinte, die von Würmern stammte, die tief im Sand der Strände der südlichen Insel lebten, und ihre Lippen wirkten deshalb so voll und rot, weil sie sie jeden Morgen mit einem schwach giftigen Schlangengift bemalte.
Als sie nun vor Tehol und Shurq Elalle auf der Schwelle ihres bescheidenen und unglücklich benannten Heims stand, war sie in hautenge Seidengewänder gekleidet, die Tehol entgegen seiner eigenen Vorstellungen von Schicklichkeit förmlich dazu einluden, ihre Brustwarzen unter dem güldenen Schimmer näher zu begutachten, so dass es einige
Weitere Kostenlose Bücher