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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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es bis zum heutigen Tag geblieben. In den Nerek, die die Nachkommen jenes Kindes sind.«
    »Und auf diese Weise rechtfertigen die Nerek ihr seltsames Patriarchat.«
    »Vielleicht«, räumte Hull ein, »obwohl die weibliche Linie als die reinste angesehen wird.«
    »Und hat die Mutter dieser ersten Mutter einen Namen?«
    »Oh, du hast die wirre Verschmelzung der beiden bemerkt, als ob es Rollen statt unterschiedlicher Einzelwesen wären. Mädchen, Mutter und Großmutter, ein Voranschreiten durch die Zeit …«
    »Das die Plackerei, die man als Ehefrau hat, unberücksichtigt lässt. Weisheit entfaltet sich wie eine Blume auf einem Dunghaufen.«
    Er blickte sie scharf an. »Jedenfalls ist sie unter einer Vielzahl verwandter Namen bekannt, was ebenfalls auf Variationen einer einzigen Person hindeutet. Eres, N’eres, Eres’al.«
    »Und das ist also der Kern des Ahnenkults der Nerek?«
    »Das war er, Seren. Du vergisst, dass ihre Kultur vernichtet worden ist.«
    »Kulturen können sterben, Hull, aber die Leute leben weiter – und sie tragen die Saat der Wiedergeburt in sich …«
    »Das ist eine Illusion, Seren«, erwiderte er. »Was immer auch daraus geboren wird, ist verdreht, schwach, ein billiger Abklatsch.«
    »Selbst der Stein verändert sich. Nichts kann still stehen …«
    »Und doch wollen wir das. Oder etwa nicht? Oh, wir sprechen von Fortschritt, doch was wir wirklich wollen, ist das Fortbestehen der Gegenwart. Mit ihren anscheinend nie endenten Exzessen, ihrem gierigen Hunger. Immer die gleichen Regeln, immer das gleiche Spiel.«
    Seren Pedac zuckte die Schultern. »Wir haben über die Nerek gesprochen. Eine adlige Frau des Hiroth-Stammes der Tiste Edur hat sie gesegnet …«
    »Und dabei wurden bisher nicht einmal wir in aller Form willkommen geheißen.«
    Sie zog die Brauen hoch. »Du glaubst, das ist auch wieder eine verdeckte Beleidigung? Von Hannan Mosag selbst angestiftet? Hull, ich glaube, dieses Mal ist deine Phantasie wirklich mit dir durchgegangen.«
    »Glaube, was du willst.«
    Sie drehte sich um. »Ich gehe spazieren.«
    Uruth hatte Mayen an der Brücke abgefangen. Was immer zwischen ihnen ausgetauscht wurde, es geschah rasch und völlig undramatisch – zumindest konnte Udinaas von seinem Platz vor dem Langhaus aus nichts anderes erkennen. Federhexe hatte sich an Uruth gehängt, nachdem sie die Botschaft ihrer Herrin übermittelt hatte, und wartete ein halbes Dutzend Schritt von den beiden Edur entfernt – allerdings nicht so weit weg, dass sie außer Hörweite gewesen wäre. Uruth und Mayen gingen dann, gefolgt von ihren Sklaven und Sklavinnen, nebeneinander zum Langhaus.
    Als Udinaas ein leises Lachen hörte, versteifte er sich und kauerte sich auf seinem Schemel zusammen. »Sei still, Verblichener!«, flüsterte er.
    »Es gibt Sphären, toter Sklave«, flüsterte das Gespenst, »in denen Erinnerungen das Vergessen formen und so aus längst vergangenen Zeitaltern eine Welt erschaffen, die so wirklich ist wie diese. Auf diese Weise wird die Zeit besiegt. Der Tod wird besiegt. Und manchmal, Udinaas der Schuldner, treibt solch eine Sphäre nahe heran. Sehr nahe.«
    »Hör auf, ich bitte dich. Ich habe kein Interesse an deinen dummen Rätseln …«
    »Willst du sehen, was ich sehe? Jetzt gleich? Soll ich dir den Schattenschleier schicken, der sich über deine Augen legt und dir die ungesehene Vergangenheit enthüllt?«
    »Jetzt nicht …«
    »Zu spät.«
    Schichten entfalteten sich vor dem Auge des Sklaven, dünn wie Spinnweben, und das umliegende Dorf schien unter dem Ansturm zusammenzuschrumpfen, verschwommen und farblos zu werden. Udinaas versuchte, sich zu konzentrieren. Die Lichtung war verschwunden; an ihrer Stelle befanden sich jetzt hoch aufragende Bäume und ein Waldboden aus zerknittertem Moos, auf den der Regen in Strömen fiel. Das Meer zu seiner Linken war deutlich näher und schleuderte mit wilder Kraft graue, schäumende Wogen gegen die zerklüfteten schwarzen Felsen am Ufer, so dass die Gischt hoch aufspritzte.
    Udinaas schreckte vor der Wildheit dieser Wellen zurück – und im gleichen Augenblick verschwanden sie in Dunkelheit, und vor den Augen des Sklaven entfaltete sich eine andere Szene. Das Meer hatte sich hinter den westlichen Horizont zurückgezogen und von tiefen Gräben durchzogenes Grundgestein zurückgelassen, umringt von steilen Eisklippen. In der kalten Luft hing der Geruch von Verwesung.
    Gestalten trotteten an Udinaas vorbei; sie trugen Pelze oder vielleicht auch

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