SdG 08 - Kinder des Schattens
mit dir, Vater? Da kommt dieser weibliche Alptraum auf fedrigen Schwingen aus dem Dunkel einer anderen Sphäre herangeschwebt, die Beine breit und einladend gespreizt – warst du nicht der allererste, der diese Einladung freudig angenommen hat? Der makellose Osserc, Erster Sohn von Dunkel und Licht, und ach, so edel! Und doch warst du da und hast dein Blut mit dem jener Hure vermischt; sag uns, wann hast du sie zu deiner Schwester erklärt – bevor oder nachdem du sie gefickt hast?«
Falls das Gift in ihren Worten irgendeine Wirkung hatte, war davon äußerlich nichts zu bemerken. Der Mann namens Osserc lächelte einfach nur und blickte weg. »Du solltest nicht so über deine Mutter sprechen, Sukul. Schließlich ist sie bei deiner Geburt gestorben …«
»Sie ist bei unser aller Geburt gestorben!« Sukul Ankhadus erhobene Hand schloss sich zu einer Faust, die die Luft zu verdrehen schien. »Sie stirbt und wird wiedergeboren. Tiam und ihre Kinder. Tiam und ihre Liebhaber. Ihre tausend Tode, und doch ändert sich nichts!«
Menandores Stimme war ruhig, als sie fragte: »Und mit wem hast du dich gestritten, Osserc?«
Osserc machte ein finsteres Gesicht. »Mit Anomander. Dieses Mal hat er mich übertroffen. Wenn man es sich genau überlegt«, fuhr er nach einem kurzen Moment fort, »ist das nicht überraschend. Die Waffe der Wut erweist sich häufig als stärker als die Rüstung der kalten Vernunft.« Er zuckte die Schultern. »Und wenn schon, ich habe ihn lange genug aufgehalten …«
»Um Scabandari Gelegenheit zur Flucht zu verschaffen?«, fragte Menandore. »Warum? Verwandter oder nicht, er hat gezeigt, was er in Wahrheit ist – ein heimtückischer Mörder.«
Osserc zog spöttisch die Brauen hoch und betrachtete die bewusstlose Frau, die zwischen seinen Töchtern auf dem Boden lag. »Dann ist eure Kusine, der ihr offensichtlich eigenhändig ziemlich übel mitgespielt habt, vermutlich nicht tot. Demgemäß möchte ich euch darauf hinweisen, dass Scabandari Silchas Ruin nicht ermordet hat …«
»Das stimmt«, schnappte Sukul. »Er hat etwas viel Schlimmeres getan. Außer natürlich, du hältst es für ein erstrebenswertes Schicksal, eine Ewigkeit lang Schlamm zu fressen.«
»Erspare mir diese Ausbrüche«, sagte Osserc. »Wie du immer wieder gerne anmerkst, liebes Kind, sind Treulosigkeit und Verrat die wertvollsten Charakterzüge unserer weitläufigen Familie. Und wenn es nicht die wertvollsten sind, so doch mit Sicherheit die am weitesten verbreiteten. Wie auch immer, ich bin hier fertig. Was habt ihr mit ihr vor?«
»Wir glauben, dass Silchas sich über Gesellschaft freuen könnte.«
Osserc versteifte sich. »Zwei Aufgestiegene mit Drachenblut in den Adern in der gleichen Erde? Ihr erlegt dem Azath-Haus eine schwere Prüfung auf, Töchter.«
»Wird Scabandari versuchen, sie zu befreien?«, fragte Menandore.
»Scabandari ist nicht in der Verfassung, irgendjemanden zu befreien«, erwiderte Osserc. »Und das gilt auch für ihn selbst.«
Diese Aussage überraschte die beiden Frauen offensichtlich. Nach einer kurzen Pause fragte Menandore: »Wem ist das gelungen?«
Der Tiste zuckte die Schultern. »Spielt das eine Rolle? Scabandaris Dünkel hat ihn dazu verleitet zu glauben, die Götter dieser Welt hätten nicht die Macht, sich ihm entgegenzustellen.« Er unterbrach sich, um seine Töchter forschend anzusehen, fuhr dann fort: »Betrachtet dies als eine Warnung, meine Lieben. Mutter Dunkels erste Kinder wurden hervorgebracht, ohne dass ein Erzeuger notwendig gewesen wäre. Und ganz egal, was Anomander auch behauptet – es waren nicht die Tiste Andii.«
»Das wussten wir nicht«, sagte Menandore.
»Nun, jetzt wisst ihr es. Seid vorsichtig, Kinder.«
Udinaas schaute zu, wie die große Gestalt davonging, und dann keuchte der Sklave auf, als Ossercs Umrisse verschwammen, sich veränderten, eine neue Gestalt annahmen. Große, glänzende goldene und silberne Schuppen kräuselten sich, als gewaltige Flügel sich ausbreiteten. Ein Aufbranden von Macht, und der riesige Drache war in der Luft.
Sukul Ankhadu und Menandore starrten ihm hinterher, bis der Drache zu einem schimmernden bernsteinfarbenen Pünktchen am finsteren Himmel wurde und schließlich verschwand.
Sukul grunzte. »Ich bin überrascht, dass Anomander ihn nicht getötet hat«, sagte sie.
»Die beiden verbindet etwas, von dem wir nichts wissen, und von dem auch sonst niemand weiß. Da bin ich mir sicher.«
»Vielleicht. Es könnte aber auch
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