SdG 08 - Kinder des Schattens
werden. Und einem ungebluteten Krieger fügt Verachtung die tiefste aller Wunden zu.«
Trull verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich erkenne die Wahrheit in deinen Worten, Forcht. Ich werde mich bemühen, meine Gleichgültigkeit zu zügeln.«
Sein Bruder reagierte nicht auf den Sarkasmus. »Der Rat versammelt sich in der Zitadelle, Bruder. Möchtest du die Halle des Königs an meiner Seite betreten?«
Trull gab sich geschlagen. »Ich fühle mich geehrt, Forcht.«
Sie wandten sich vom schwarzen Wasser ab, und so konnten sie den Schemen mit den bleichen Flügeln nicht sehen, der ein kurzes Stück vom Ufer entfernt über die trägen Wogen glitt.
Dreizehn Jahre zuvor war Udinaas ein junger Seemann im dritten Jahr des Lehrvertrags gewesen, den seine Familie mit dem Kaufmann Intaros aus Trate geschlossen hatte, der nördlichsten Stadt des Königreichs Lether. Er hatte sich an Bord des Walfängers Dicker Brummer auf dem Heimweg von den Gewässern der Beneda befunden. Sie waren im Schutz der Dunkelheit hineingeglitten, hatten drei Walkühe getötet und die Kadaver in die neutralen Kanäle westlich der Calach-Bucht geschleppt, als fünf K’orthan-Boote der Hiroth gesichtet worden waren, die sie verfolgten.
Die Gier des Kapitäns hatten ihnen den Untergang gebracht, denn er wollte die getöteten Wale nicht aufgeben.
Udinaas erinnerte sich noch gut an die Gesichter der Offiziere des Walfängers – darunter auch des Kapitäns –, als man sie an eine der toten Walkühe gebunden hatte, um sie den Haien und Dhenrabi zu überlassen, während die einfachen Seeleute mitsamt jedem Fitzelchen Eisen und allem anderen, woran die Edur Gefallen fanden, vom Schiff geschleppt worden waren. Dann wurden Schattengespenster auf die Dicker Brummer losgelassen, die das tote Holz, aus dem das Letherii-Schiff bestand, zerfetzten und verzehrten. Nachdem sie die beiden anderen Walkühe ins Schlepptau genommen und den dritten Wal den Schlächtern in der Tiefe überlassen hatten, waren die fünf K’orthan-Boote aus Schwarzholz schließlich aufgebrochen.
Schon damals war Udinaas das grässliche Schicksal des Kapitäns und seiner Offiziere ziemlich gleichgültig gewesen. Er war als Schuldner geboren worden wie sein Vater und dessen Vater zuvor. Lehrvertrag und Sklaverei waren zwei Worte für die gleiche Sache. Außerdem war sein Leben als Sklave der Hiroth nicht besonders hart. Gehorsam wurde mit Schutz und Kleidung sowie einer Unterkunft belohnt, die Zuflucht vor Regen und Schnee gewährte – und bis vor kurzem hatte es auch noch reichlich zu essen gegeben.
Zu den vielen Aufgaben, die Udinaas im Haushalt der Sengars zu erledigen hatte, gehörte es auch, die Netze der vier als Knarri bezeichneten Fischerboote zu reparieren, die der adligen Familie gehörten. Da er Seemann gewesen war, war es ihm nicht gestattet, das Festland zu verlassen, und er kam niemals näher an das offene Meer heran als dann, wenn er unten am Strand südlich der Flussmündung Netze knüpfte und Steingewichte an ihnen befestigte. Nicht, dass er den Edur hätte entfliehen wollen. Es gab eine Menge Sklaven im Dorf – alles Letherii natürlich –, daher mangelte es ihm nicht an Gesellschaft von seinesgleichen, so erbärmlich sie oft auch sein mochte. Abgesehen davon, waren die Annehmlichkeiten von Lether auch nicht bedeutend genug, um etwas praktisch Unmögliches zu versuchen; er erinnerte sich daran, zwar vielerlei wunderbare Dinge gesehen zu haben, doch er hatte niemals Anteil an ihnen gehabt. Zu guter Letzt kam hinzu, dass Udinaas das Meer voller Inbrunst hasste, wie schon damals, als er noch Seemann gewesen war.
Im schwächer werdenden Licht hatte er die beiden ältesten Söhne von Tomad Sengar am gegenüberliegenden Flussufer gesehen und war nicht erstaunt gewesen, als er die leisen, nicht zu unterscheidenden Worte mitbekommen hatte, die sie ausgetauscht hatten. Wieder einmal hatten Schiffe der Letherii zugeschlagen – die Neuigkeit hatte schon unter den Sklaven die Runde gemacht, noch bevor der junge Rhulad auch nur den Eingang zur Zitadelle erreicht hatte. Eine Ratsversammlung war einberufen worden – was zu erwarten gewesen war –, und Udinaas vermutete, dass es schon bald ein Gemetzel geben würde, jene tödliche, schreckliche Verbindung aus Klingen schwingender Raserei und Zauberei, die jeden Zusammenprall mit den Letherii aus dem Süden kennzeichnete. Und, um die Wahrheit zu sagen, Udinaas wünschte seinen Herren eine gute Jagd. Denn dadurch, dass
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