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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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Augen weit aufreißen, wodurch er stets etwas überrascht wirkte. Seine Macht war also nicht körperlicher Natur. Sie lag ganz und gar in seiner Stimme. Voll und tief klang sie – eine Stimme, der man einfach zuhören musste, ungeachtet ihrer Lautstärke.
    Wie er jetzt einfach nur schweigend dastand, sah es aus, als wäre Hannan Mosag durch einen bloßen Zufall an seine Königswürde gekommen, als wäre er einfach nur in die Mitte des großen Raums geschritten und würde sich nun mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck umsehen. Seine Kleidung unterschied sich nicht von der der anderen Krieger, abgesehen davon, dass er keine Trophäen am Gürtel trug; seine Trophäen saßen schließlich um ihn herum auf dem Podest – die erstgeborenen Söhne der fünf unterworfenen Häuptlinge.
    Betrachtete man den Hexenkönig genauer, so zeigte sich ein anderes Zeichen seiner Macht. Hinter ihm erhob sich sein Schatten. Riesig und ungeschlacht. Mit langen, undeutlich erkennbaren, aber tödlichen Schwertern in den gepanzerten Fäusten. Er trug einen Helm, und seine Schultern wirkten unter der Plattenrüstung kantig. Hannan Mosags Leibwächter schlief niemals. Und in der breitbeinigen Haltung des Schattengespensts lag so gar nichts Nachdenkliches, dachte Trull.
    Nur wenige Hexer waren in der Lage, eine solche Kreatur zu beschwören, indem sie auf die Lebenskraft ihrer eigenen Schatten zurückgriffen. In jenem stummen, immer wachsamen Wächter floss Kurald Emurlahn ungemindert und brutal.
    Trulls Blick fiel auf die Geiseln, die ihrerseits ihn ansahen. Die K’risnan. Sie verkörperten nicht nur ihre Väter, sondern waren auch Hannan Mosags Lehrlinge in Sachen Zauberei. Ihre eigenen Namen waren ihnen genommen worden, und die neuen waren heimlich von ihrem Herrn ausgewählt und mit Zaubersprüchen gebunden worden. Eines Tages würden sie als Häuptlinge zu ihren Stämmen zurückkehren. Ihre Loyalität ihrem König gegenüber würde absolut sein.
    Genau gegenüber von Trull befand sich die Geisel vom Stamm der Merude. Die Merude waren der größte der sechs Stämme – und der letzte, der sich ergeben hatte. Sie hatten stets darauf gepocht, dass ihnen von Rechts wegen die herausragende Stellung unter den Edur gebührte, da ihre Zahl sich der Hunderttausend näherte – und davon waren vierzigtausend geblutete Krieger oder solche, bei denen dies bald der Fall sein würde. Sie verfügten über die meisten Schiffe und die meisten Krieger und wurden von einem Häuptling angeführt, der mehr Trophäen an seinem Gürtel trug, als man es seit Generationen gesehen hatte. Die Vorherrschaft gehörte den Merude.
    Sie hätte ihnen wohl auch gehört, wenn Hannan Mosag nicht so außergewöhnlich meisterhaft mit den Bruchstücken von Kurald Emurlahn hätte umgehen können, aus denen man Macht ziehen konnte. Häuptling Hanradi Khalag hingegen war als Krieger weit fähiger denn als Hexer, er konnte besser mit dem Speer umgehen als mit Zauberei.
    Niemand außer Hannan Mosag und Hanradi Khalag kannte die Einzelheiten jener letzten Kapitulation. Die Merude hatten den Kriegern der Hiroth und den an ihrer Seite kämpfenden Kontingenten der Arapay, Sollanta, Den-Ratha und Beneda lange und tapfer Widerstand geleistet. Die rituelle Zurückhaltung im Kriege hatte schnell nachgelassen, und an ihre Stelle war eine erschreckende, aus Verzweiflung geborene Brutalität getreten. Die alten Gesetze waren kurz davor gewesen, zerschmettert zu werden.
    Eines Nachts war Hannan Mosag in das Dorf des Häuptlings gegangen – irgendwie war es ihm gelungen, dabei ungesehen zu bleiben – und hatte das Langhaus des Häuptlings betreten. Und als das erste fahle Licht von Menandores grausamem Erwachen kündete, hatte Hanradi Khalag sein Volk übergeben.
    Trull wusste nicht, was er von den Geschichten halten sollte, die immer wieder erzählt wurden – dass Hanradi keinen Schatten mehr werfen würde. Er hatte den Häuptling der Merude nie gesehen.
    Und jetzt saß der erstgeborene Sohn jenes Mannes vor ihm. Sein Kopf war kahl geschoren, um die Trennung von seinen Ahnen anzuzeigen, und ein Gewirr aus tief eingeschnittenen, breiten Narben überzog sein Gesicht mit streifigen Schatten. Seine Augen blickten ausdruckslos und wachsam, als rechnete er damit, dass jemand versuchen könnte, den Hexenkönig hier, in seiner eigenen Halle, zu ermorden.
    Die Öllampen, die von der hohen Decke herunterhingen, flackerten alle gleichzeitig. Alle Anwesenden verstummten und richteten die Blicke

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