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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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auf Hannan Mosag.
    Obwohl er seine Stimme nicht hob, drang sie tief und volltönend bis in den letzten Winkel, so dass niemand sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. »Rhulad, der ungeblutete Krieger und Sohn von Tomad Sengar, hat mir eine Nachricht seines Bruders Trull Sengar überbracht. Dieser Krieger war zur Calach-Bucht gewandert, um an ihrem Ufer nach Jade zu suchen. Er wurde Zeuge eines grässlichen Ereignisses und ist ohne Pause drei Tage und zwei Nächte lang gelaufen.« Hannan Mosags Augen richteten sich auf Trull. »Tritt an meine Seite, Trull Sengar, und erzähle deine Geschichte.«
    Trull schritt die Gasse entlang, die die anderen Krieger für ihn freimachten, und sprang mit einem Satz auf das erhöhte Podest; seine Beine waren so erschöpft, dass er bei dieser Anstrengung fast zusammengebrochen wäre, und er musste alle Kraft aufwenden, sich nichts anmerken zu lassen. Er richtete sich auf, trat zwischen zwei K’risnan hindurch und stellte sich rechts neben den Hexenkönig.
    Dann ließ er den Blick über die vielen, nach oben gewandten Gesichter schweifen und sah, dass das, was er gleich sagen würde, den meisten bereits bekannt war. Er sah Gesichter, die dunkel vor Wut waren und in denen der Wunsch nach Rache zu lesen stand. Und da und dort auch ein Stirnrunzeln, das auf Besorgnis oder Bestürzung hindeutete.
    »Dies möchte ich der Ratsversammlung mitteilen: Die Stoßzähnigen Robben haben die Paarungsgebiete früh aufgesucht. Jenseits der Untiefen habe ich unzählige Haie springen gesehen. Und in ihrer Mitte … neunzehn Schiffe der Letherii …«
    »Neunzehn!«
    Der Schrei erklang einstimmig aus einem halben Hundert Kehlen. Ein untypischer Verstoß gegen die Schicklichkeit, der aber deshalb nicht weniger verständlich war. Trull wartete einen Augenblick, dann nahm er den Faden wieder auf. »Ihre Laderäume müssen beinahe voll sein, denn sie lagen tief im Wasser, das um sie herum von Blut und Abfällen rot gefärbt war. Ihre Jagdboote lagen längsseits der großen Schiffe. In den fünfzig Herzschlägen, die ich dagestanden und sie beobachtet habe, konnte ich sehen, wie Hunderte von Robbenkadavern an Haken hochgezogen und wartenden Händen übergeben wurden. Am Ufer selbst warteten zwanzig Boote in den Untiefen. Siebzig Mann waren an Land, sind zwischen den Robben …«
    »Haben sie dich gesehen?«, fragte einer der Krieger.
    Es schien, als wäre Hannan Mosag bereit, die Regeln außer Acht zu lassen – zumindest im Augenblick.
    »Das haben sie, und sie haben in ihrem Gemetzel innegehalten – einen Moment lang. Ich habe gesehen, wie ihre Lippen sich bewegten, auch wenn ich die Worte bei dem Gebrüll und Geschrei der Robben nicht hören konnte, und ich habe gesehen, wie sie gelacht haben …«
    Wut brach unter den Versammelten aus. Krieger sprangen auf.
    Blitzschnell hob Hannan Mosag eine Hand.
    Augenblicklich herrschte wieder Stille.
    »Trull Sengar hat seine Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.«
    Trull räusperte sich und nickte. »Ihr seht mich jetzt hier vor euch stehen, Krieger, und diejenigen von euch, die mich kennen, kennen auch meine Lieblingswaffe – den Speer. Wann habt ihr mich jemals ohne meinen eisenbeschlagenen Schlächter unzähliger Narren gesehen? Leider habe ich ihn zurücklassen müssen – in der Brust des Mannes, der als Erster gelacht hat.«
    Lautes Gebrüll antwortete seinen Worten.
    Hannan Mosag legte Trull eine Hand auf die Schulter, und der junge Krieger trat beiseite. Der Hexenkönig musterte die Gesichter vor ihm einen Augenblick lang, dann begann er zu sprechen. »Trull Sengar hat getan, was jeder Krieger der Edur getan hätte. Seine Tat hat mir das Herz erwärmt. Doch nun steht er hier vor euch – waffenlos …«
    Trull versteifte sich unter dem Gewicht der Hand.
    »Und so komme ich nun aufgrund wohlüberlegter Erwägungen, wie ein König sie anstellen muss«, fuhr Hannan Mosag fort, »zu dem Schluss, dass ich meinen Stolz beiseite schieben und einen Blick über diese Tat hinauswerfen muss. Dass ich mir ansehen muss, was all diese Dinge zu bedeuten haben. Ein geworfener Speer. Ein toter Letherii. Ein waffenloser Edur. Und jetzt sehe ich in den Gesichtern meiner hoch geschätzten Krieger eintausend geworfene Speere, eintausend tote Letherii. Eintausend waffenlose Edur.«
    Niemand sprach. Niemand gab die offensichtliche Antwort: Wir haben viele Speere.
    »Ich sehe den Durst nach Rache. Die Letherii-Plünderer müssen niedergemacht werden. Und zwar als Auftakt

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