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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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solch eine Frau zu heiraten.
    Während er noch dastand und sie anstarrte, packte ihn sein Freund Hulad am Handgelenk. Mit sanfter Gewalt zog er Udinaas nach unten, bis er wie alle anderen Zuschauer im Schneidersitz dasaß.
    Hulad beugte sich zu ihm. »Was hast du denn, Udinaas?«
    »Sie hat die Fliesen geworfen …«
    »Stimmt. Und jetzt warten wir, während sie umherwandert.«
    »Ich habe eine weiße Krähe gesehen.«
    Hulad zuckte zusammen.
    »Unten am Strand. Ich habe den Abtrünnigen angefleht, aber es hat nichts genützt. Die Krähe hat über meine Worte nur gelacht.«
    Ihr leiser Wortwechsel war von den anderen gehört worden, und Gemurmel breitete sich unter ihnen aus.
    Es verstummte jedoch, als Federhexe plötzlich aufstöhnte und langsam den Kopf hob. Alle Blicke richteten sich nun auf sie.
    Ihre Augen waren leer, nur das Weiße war zu sehen, klar wie Eis auf einem Gebirgsbach, während die Iris und die Pupille verschwunden waren, als hätte es sie nie gegeben. Und hinter diesem durchscheinenden Weiß schwammen, verwischt vor der Schwärze des Abgrunds, Doppelspiralen aus schwachem Licht.
    Entsetzen verzerrte ihre einst schönen Gesichtszüge, das Entsetzen der Ursprünge, nun, da ihre Seele vor dem Vergessen stand. Vor einem Ort, an dem eine solche Einsamkeit herrschte, dass anscheinend nur Verzweiflung blieb. Doch es war auch ein Ort, an dem Macht erdacht wurde, und Gedanken flackerten ihrer Schöpfer beraubt durch den Abgrund, geboren aus Fleisch, das erst noch entstehen musste – denn nur der Geist konnte zurück in die Vergangenheit reichen, nur seine Gedanken konnten dort hausen. Sie war in der Zeit vor dem Anbeginn der Welten und musste jetzt vorwärts schreiten.
    Um mitzuerleben, wie die Festen sich erhoben.
    Genau wie alle anderen Letherii kannte auch Udinaas die einzelnen Abfolgen und Formen. Zuerst würden die drei Angelpunkte kommen, die als die Schöpfer der Sphäre bekannt waren. Feuer, der stumme Schrei des Lichts, das Wirbeln der Sterne selbst. Dann Dolmen, kahl und wurzellos, der ziellos in der Leere trieb. Und den Weg dieser beiden Mächte kreuzte der Abtrünnige. Als Träger seiner eigenen, unbekannten Gesetze würde er Feuer und Dolmen in heftige Kriege verwickeln. Es würde riesige Schlachtfelder der Zerstörung geben, Beispiele um Beispiele gegenseitiger Auslöschung.
    Doch gelegentlich – selten – würde zwischen den beiden Streitenden Frieden geschlossen werden. Feuer würde baden, aber nicht brennen, und Dolmen würde sein Umherwandern aufgeben und Wurzeln schlagen.
    Dann würde der Abtrünnige seinen geheimnisvollen Strang weben und die Festen erschaffen. Eis. Eleint. Azath. Tier. Und in ihrer Mitte würden die übrigen Angelpunkte auftauchen. Axt, Knöchelchen, Klinge, die Meute, Gestaltfinder und Weiße Krähe.
    Dann, wenn die Sphären Gestalt annahmen, würde das spiralige Licht schärfer werden, und die letzte Feste würde enthüllt. Die Feste, die ungesehen schon ganz am Anfang existiert hatte. Die Leere Feste – das, was die Letherii am meisten verehrten –, die sich genau im Zentrum der riesigen Spirale der Sphären befand. Heimat des Throns, der keinen König kannte, Heimat des Wandernden Ritters und der Gebieterin, die allein in ihrem Bett aus Träumen noch immer wartete. Heimat des Beobachters, der alles sah, und des Wanderers, der an Grenzen patrouillierte, die nicht einmal er sehen konnte. Heimat des Erlösers, dessen ausgestreckte Hand niemals ergriffen wurde. Und schließlich auch Heimat des Verräters, dessen liebende Umarmung alles vernichtete, was er berührte.
    »Geht mit mir zu den Festen.«
    Die Zuschauer seufzten gemeinsam wie ein einziges Wesen, unfähig, dieser schwülen, schleppenden Einladung zu widerstehen.
    »Wir stehen auf Dolmen. Ein zerbrochener Felsklotz, von Narben übersät, die von zerschmetterten Verwandten stammen; seine Oberfläche wimmelt vor Leben, das so klein ist, dass es sich unseren Blicken entzieht. Leben, das in ewige Kriege verstrickt ist. Klinge und Knöchelchen. Wir sind inmitten der Tiere. Ich kann die Knochenstange sehen, schlüpfrig von Blut und umgeben von den Schichten geisterhafter Erinnerungen zahlloser Usurpatoren. Ich sehe den Älteren, noch immer gesichtslos, noch immer blind. Und Scharteke, die die Schäden des flüchtigen Vorbeiziehens von Ungeheuern abschätzt. Und Seher, der zu den Gleichgültigen spricht. Ich sehe den Schamanen, der die Wahrheit inmitten der Toten sucht. Und den Jäger, der nur für den Augenblick

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