SdG 08 - Kinder des Schattens
jenen Pfad beschreiten und sich durch die Dunkelheit schleichen.
Um was zu finden? Gewissheit, die scharfen Zähne hinter all dem, was an seinen Gedanken nagte.
Und was wäre das wert?
Es sind diese dunklen Stunden …
Trull Sengars Augen weiteten sich langsam. Am Waldrand gegenüber war eine Gestalt aufgetaucht. Mit klopfendem Herzen starrte er sie an.
Das Wesen schritt vorwärts. Es hatte schwarzes Blut im Mund. Seine Haut war eine bleiche, trübe Spiegelung des Mondlichts, mit Dreck verschmiert, und an einigen Stellen mit etwas befleckt, das wie Schimmel aussah. Von seinen Hüften baumelten zwei leere Scheiden aus poliertem Holz. Fetzen einer Rüstung hingen an ihm. Es war groß, doch seine Schultern waren gebeugt, als wäre die Größe an sich schon zu einer Bürde geworden.
Augen wie ersterbende Kohlen.
»Oh«, murmelte es und blickte auf den Haufen aus Blättern hinunter, »was haben wir denn hier?« Es sprach die Sprache der Nacht, die mit der der Edur eng verwandt war.
Zitternd zwang sich Trull vorzutreten, wobei er den Speer mit beiden Händen packte, so dass die eiserne Spitze über dem Leichnam schwebte. »Er ist nicht für dich«, sagte er. Seine Kehle war plötzlich wie ausgedörrt und seltsam zugeschnürt.
Die Augen glommen einen kurzen Moment heller, als die weißhäutige Erscheinung Trull anblickte. »Tiste Edur, kennst du mich?«
Trull nickte. »Du bist der Geist der Dunkelheit. Der Verräter.«
Ein gelbes und schwarzes Grinsen.
Trull zuckte zusammen, als das Wesen einen Schritt näher trat und dann auf der anderen Seite des Blätterhaufens in die Hocke ging. »Fort von hier, Geist«, sagte der Edur.
»Oder du tust was?«
»Alarm schlagen.«
»Wie? Deine Stimme ist nun kaum mehr als ein Flüstern. Deine Kehle ist zugeschnürt. Du hast Mühe zu atmen. Ist es Verrat, der dich würgt, Edur? Aber das ist nicht wichtig. Ich bin weit gewandert und habe nicht den Wunsch, die Rüstung dieses Mannes zu tragen.« Das Wesen stand wieder auf. »Tritt zurück, Krieger, wenn du Luft holen willst.«
Trull blieb stehen, wo er war. Zischend drang die Luft durch seine zugeschnürte Kehle, und er konnte spüren, wie seine Knie weich wurden.
»Nun, Feigheit war nie eine Schwäche der Edur. Dann sollst du also deinen Willen haben.« Die Gestalt drehte sich um und ging auf den Waldrand zu.
Ein gesegneter Atemzug füllte Trulls Lunge, dann noch einer. Ihm war schwindlig, und er stellte seinen Speer auf den Boden und stützte sich darauf. »Warte!«
Der Verräter blieb stehen, wandte sich erneut zu ihm um.
»So etwas … so etwas ist noch nie zuvor geschehen. Die Nachtwache …«
»Wird nur von hungrigen Erdgeistern angefochten.« Der Verräter nickte. »Oder, was sogar noch armseliger ist, von den Geistern der entwurzelten Schwarzholzbäume, die ins Fleisch eindringen, um … was zu tun? Nichts, so wie es auch war, als sie noch gelebt ha ben. Es gibt Myriaden von Kräften in dieser Welt, Tiste Edur, und die Mehrzahl von ihnen ist schwach.«
»Vater Schatten hat dich eingesperrt …«
»Das hat er, und dort bleibe ich auch.« Erneut das gespenstische Lächeln. »Außer, wenn ich träume. Mutter Dunkels widerwillig gegebenes Geschenk, das mich immer daran erinnert, dass Sie nicht vergisst. Und mich außerdem daran erinnert, dass auch ich niemals vergessen darf.«
»Dies hier ist kein Traum«, sagte Trull.
»Sie wurden zerschmettert«, sagte der Verräter. »Vor langer Zeit. Bruchstücke, die auf einem Schlachtfeld zerstreut waren. Warum sollte irgendjemand sie haben wollen? Diese Scherben können nie wieder zusammengefügt werden. Sie sind jetzt alle, wirklich alle in sich selbst zusammengefaltet. Daher frage ich mich: Was hat er mit ihnen gemacht? «
Die Gestalt schritt in den Wald und war verschwunden.
»Dies hier«, flüsterte Trull, »ist kein Traum.«
Udinaas schlug die Augen auf. Der Gestank des verschmorten Leichnams war noch immer in seiner Nase und in seinem Mund, hing schwer in seiner Kehle. Dicht über ihm war das schräge Dach des Langhauses, raue schwarze Borke und vergilbte Ritzen. Reglos blieb er unter seiner Decke liegen.
War es kurz vor der Morgendämmerung?
Er hörte nichts, konnte keinerlei Stimmen aus den umliegenden Zimmern vernehmen. Doch das besagte nicht viel. Die Stunden, bevor der Mond aufging, waren still. Genau wie die Stunden, in denen alle schliefen, natürlich. Am folgenden Tag musste er Netze reparieren. Und Seilstränge flechten.
Vielleicht ist das die
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