SdG 08 - Kinder des Schattens
– mit der sie die Weisheit in Schach hielten. In der jede Festung schließlich von innen zusammenstürzte, niedergedrückt vom schieren Gewicht jener Ketten, die sie so starr umarmten.
In Gedanken stritt er mit dem Geist – dem Verräter. Demjenigen, der Scabandari Blutauge vor tausenden von Jahren zu ermorden versucht hatte. Er erklärte, dass jede Gewissheit ein leerer Thron war. Dass diejenigen, die nur einen einzigen Pfad kannten, dazu kommen würden, diesen zu verehren, selbst wenn er zum Rand einer Klippe führte. Er führte Gründe an, und in der gleichgültigen Stille, mit der der Geist auf seine Worte reagierte, begann er plötzlich zu erkennen, dass er selbst – mit hitzigem Eifer – vom Fuße eines leeren Throns aus sprach.
Scabandari Blutauge hatte jene Welt niemals erschaffen. Er war in dieser Welt verschwunden, war auf einem Pfad verloren gegangen, dem niemand anderes folgen konnte.
Trull Sengar stand vor dem Leichnam und dem Hügel aus faulenden Blättern und fühlte sich im tiefsten Innern verlassen. Eine Vielzahl von Pfaden wartete auf ihn, und sie waren alle schäbig und durchtränkt von Verzweiflung.
Schritte auf dem Pfad. Er drehte sich um.
Forcht und Rhulad kamen heran. Sie trugen ihre Umhänge. Forcht hielt Trulls Umhang in den Händen, und auf seinem Rücken hing ein kleiner Packsack.
Rhulads Gesicht war gerötet, und Trull konnte nicht sagen, ob vor Angst oder vor Aufregung.
»Ich grüße dich, Trull«, sagte Forcht und reichte ihm den Umhang.
»Wohin gehen wir?«
»Unser Vater verbringt diese Nacht im Tempel. Er betet um Führung.«
»Zur Steinschüssel«, sagte Rhulad. Seine Augen glänzten. »Mutter schickt uns zur Steinschüssel.«
»Warum?«
Rhulad zuckte die Schultern.
Trull blickte Forcht an. »Was ist diese Steinschüssel? Ich habe noch nie von ihr gehört.«
»Ein alter Ort. In der Kaschan-Rinne.«
»Hast du von diesem Ort gewusst, Rhulad?«
Sein jüngerer Bruder schüttelte den Kopf. »Erst seit heute Nacht, als Mutter ihn beschrieben hat. Wir sind alle schon am Rand der Rinne entlanggegangen. Die Dunkelheit in ihrem Innern ist natürlich undurchdringlich – wie hätten wir darauf kommen sollen, dass sich eine heilige Stätte darin verbirgt?«
»Eine heilige Stätte? In vollkommener Dunkelheit?«
»Was das zu bedeuten hat, wird schon bald ersichtlich werden, Trull«, sagte Forcht.
Sie setzten sich in Bewegung, der älteste Bruder vorneweg. In den Wald, auf einen Pfad, der in nordwestliche Richtung führte. »Forcht«, sagte Trull, »hat Uruth schon früher einmal mit dir über die Steinschüssel gesprochen?«
»Ich bin der Waffenmeister«, erwiderte Forcht. »Es galt Riten zu befolgen …«
Wozu auch zählte, wie Trull wusste, alle Schlachten auswendig zu lernen, die die Edur jemals gefochten hatten. Und dann fragte er sich, wieso ihm als Antwort auf Forchts Worte ausgerechnet dieser Gedanke gekommen war. Welche verborgenen Verbindungen versuchte sein eigener Verstand zu enthüllen, und warum war er nicht in der Lage, sie zu erkennen?
Sie gingen weiter, vermieden jene Teiche aus Mondlicht, die nicht von Schatten durchzogen wurden. »Tomad hat uns diese Reise verboten«, sagte Trull nach einiger Zeit.
»In Fragen der Zauberei steht Uruth höher als Tomad«, sagte Forcht.
»Und dies ist eine Frage der Zauberei?«
Rhulad, der hinter Trull ging, schnaubte verächtlich. »Du hast mit uns im Langboot des Hexenkönigs gestanden.«
»Das habe ich«, stimmte Trull zu. »Forcht, würde Hannan Mosag dem, was wir tun – was Uruth uns aufgetragen hat – zustimmen?«
Forcht sagte nichts.
»Du bist zu sehr von Zweifeln erfüllt, Bruder«, sagte Rhulad. »Sie halten dich fest …«
»Ich habe gesehen, wie du den Pfad zum auserwählten Friedhof entlanggegangen bist, Rhulad. Nachdem Duster fort war, und ehe der Mond aufgegangen ist.«
Falls Forcht auf diese Worte reagierte, konnte man es von hinten nicht erkennen, und er kam auch nicht aus dem Tritt.
»Ja, und?«, fragte Rhulad. Sein Tonfall war zu locker, zu beiläufig.
»Meine Worte sollten nicht vorlaut beantwortet werden, Bruder.«
»Ich habe gewusst, dass Forcht damit beschäftigt war, die Rückgabe der Waffen in die Waffenkammer zu beaufsichtigen«, sagte Rhulad. »Und ich habe gespürt, dass etwas Feindseliges in der Dunkelheit umherstreifte. Daher habe ich im Verborgenen seine Verlobte bewacht, die ganz allein auf dem Friedhof war. Ich mag noch ungeblutet sein, Bruder, doch es mangelt mir nicht an Mut.
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