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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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wolltest.«
    Serens Schulterzucken wirkte müde. »Ach, Hull, das ist doch bei uns allen so.«
    Er trat dicht an sie heran. »Aber so muss es nicht sein, Freisprecherin.«
    Überrascht schaute sie ihm in die Augen, wunderte sich über die unerwartete Ernsthaftigkeit, die sich in ihnen spiegelte. »Wie soll ich deiner Meinung nach darauf reagieren?«, fragte sie. »Wir sind alle wie Soldaten, kauern uns hinter die Schutzwälle, die wir selbst errichtet haben. Du wirst tun, Hull, was du glaubst, tun zu müssen.«
    »Und was ist mit dir, Seren Pedac? Welcher Weg wartet auf dich?«
    Immer der gleiche Weg. »Du darfst dich der Tiste Edur nicht bedienen. Es mag sein, dass sie dir zuhören, aber sie müssen dir nicht folgen.«
    Er wandte sich ab. »Ich habe keine Erwartungen, Seren, nur Ängste. Wir sollten unsere Reise fortsetzen.«
    Sie warf einen Blick zu den Nerek hinüber. Sie saßen oder kauerten in der Nähe der Wagen; ihre Rücken dampften. Ihre Gesichter waren schlaff, sie wirkten merkwürdig gleichgültig ihrem toten Verwandten gegenüber, den sie in seinem behelfsmäßigen Grab aus Schlamm, Felsbrocken und Wurzeln zurückgelassen hatten. Wie viel konnte man einem Volk rauben, bevor es sich selbst beraubte? Der Weg den steilen Hang zur Auflösung hinunter begann mit einem leichten Rutschen, nur um schließlich zu einem kopflosen Bergabstürzen zu werden.
    Die Letherii glaubten an kaltherzige Wahrheiten. Schwung war eine Lawine, und niemand besaß das Vorrecht, beiseite treten zu können. Die Grenze zwischen Leben und Tod wurde im zunehmenden Drängeln um Positionen inmitten eines alles verschlingenden Fortschritts gemessen. Niemand konnte sich Mitleid leisten. Entsprechend erwartete es auch niemand von anderen.
    Wir leben in feindseligen Zeiten. Andererseits – die Zeiten sind immer feindselig.
    Es begann erneut zu regnen.
    Weit im Süden, jenseits der Berge, die sie gerade überquert hatten, wurde der Untergang der Tiste Edur ausgeheckt. Und sie vermutete, dass Hull Beddicts Leben verwirkt war. Sie konnten sich das Risiko, das er bedeutete, nicht erlauben, konnten den Verrat, den zu begehen er praktisch versprochen hatte, nicht einfach hinnehmen. Die Ironie lag darin, dass sie das Gleiche wollten. Beide wollten schließlich den Krieg. Nur das Gesicht des Sieges sah jeweils anders aus.
    Doch Hull verfügte über zu wenig von jenem Scharfsinn, den es brauchte, um dieses besondere Spiel zu spielen und zu überleben.
    Und sie hatte angefangen darüber nachzudenken, ob sie irgendwie versuchen würde, ihn zu retten.
    Ein Schrei aus Buruks Wagen. Müde rappelten sich die Nerek auf. Seren zog sich den Umhang enger um die Schultern, musterte mit zusammengekniffenen Augen den vor ihnen liegenden Weg. Sie spürte, wie Hull an ihre Seite trat, blickte aber nicht auf.
    »In welchem Tempel bist du ausgebildet worden?«
    Sie schnaubte, schüttelte dann den Kopf. »Thurlas, bei den Verschleierten Schwestern des Leeren Throns.«
    »Gleich gegenüber dem Kleinen Kanal. Ich erinnere mich an ihn. Was für eine Art Kind warst du, Seren?«
    »Du hast ganz offensichtlich ein Bild im Kopf.«
    Sie sah sein Nicken aus dem Augenwinkel, und er sagte: »Eifrig. Übertrieben ordentlich. Ernst.«
    »Es gibt Hauptbücher, in denen die Namen bemerkenswerter Schüler und Schülerinnen festgehalten werden. Du wirst meinen Namen darin finden, wieder und wieder. Zum Beispiel hat man mir den Titel der Schülerin mit den meisten Bestrafungen binnen eines Jahres verliehen. Zweihunderteinundsiebzig. Die Unbeleuchtete Zelle war mir vertrauter als mein eigenes Zimmer. Ich war auch angeklagt, einen Priester, der zu Besuch war, verführt zu haben. Und bevor du fragst – ja, ich war schuldig. Aber der Priester hat das Gegenteil geschworen, um mich zu schützen. Er wurde exkommuniziert. Später habe ich gehört, dass er sich umgebracht hat. Hätte ich noch immer irgendeine Art von Unschuld gehabt, dann hätte ich sie spätestens in jenem Moment verloren.«
    Er machte ein paar Schritte, um sich vor sie zu stellen, während der erste Wagen von den Nerek vorbeigezogen wurde. Sie war gezwungen, ihn anzusehen. Erst zögerte sie, dann schenkte sie ihm ein gequältes Lächeln. »Erschüttert dich das, Hull Beddict?«
    »Das Eis unter mir ist gebrochen.«
    Ärger wallte in ihr auf, bis ihr auffiel, dass er sich mit diesem Geständnis selbst verspottete. »Wir sind nicht unschuldig, wenn wir geboren werden, sondern einfach nur ohne jedes Gefühl für

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