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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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als so viele Menschen Zeugen von Burdos Untergang wurden, kein anderes Fischerboot mehr die Wasser des Trübsees durchkreuzt hat. Wie auch immer, ich glaube, ich sprach über das plötzliche Zusammenfließen all jener Flüsse, das Hereinströmen des Sumpfwassers, wobei besagte Ereignisse lange vor der Besiedlung dieses Gebiets durch die Kolonisten stattgefunden haben. Wäre das nicht ein dramatischer Anblick gewesen?«
     
    Auszug aus Die Geologische Geschichte von Letheras,
    einem Vortrag des Königlichen Geographen Thula Rotsand
    anlässlich der Neunzehn-Jahr-Feier der Feldscher-Akademie
    kurz vor dem Einsturz des Dachs
    Kommentare von Ibal dem Stachel, dem einzigen Überlebenden
    A
    n dem Staub, der wie ein Behemoth über den Armeen der Edur schwebte, als sie aus dem Norden heranmarschiert kamen und gegenüber von Brans Feste Stellung zu beziehen begannen, war nichts Natürliches. Die ockergelbe Wolke dräute wie eine stillstehende Woge in einem Wasserfall, wütende Winde peitschten an beiden Seiten südwärts und schleuderten den wartenden Armeen der Letherii und den unfruchtbaren Hügeln hinter ihnen in einem dunklen, geheimnisvollen Ansturm Asche und Bodenkrume entgegen.
    Dem Imperator der Tiste Edur war erneut die Ehre der Wiedergeburt zuteil geworden. Jeder Tod war ein Schritt auf seinem Weg zur unangreifbaren Herrschaft. Eine Auferstehung, das war Udinaas mittlerweile klar, war weder friedvoll noch schmerzlos. Sie wurde von Schreien begleitet, schrillen Schreien, die die Luft zerrissen. Sie kam wie die Sturzflut eines grellen Schocks, die an Rhulads geistiger Gesundheit genauso zerrte, wie sie es bei jedem anderen getan hätte, der unter diesem Fluch gelitten hätte. Und der Sklave hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass das Schwert und das ihm innewohnende Geschenk verflucht waren, und dass der Gott, der dahintersteckte – wenn es denn wirklich ein Gott war –, eine Kreatur des Wahnsinns war.
    Dieses Mal waren Rhulads Brüder dabei gewesen und Zeugen seines Aufwachens geworden. Udinaas war nicht überrascht über das Entsetzen auf ihren Gesichtern, als der erste abgehackte Schrei des Imperators erklungen war, als Krämpfe Rhulads mit schmierigen Goldmünzen und getrocknetem Blut bedeckten Körper geschüttelt hatten und ein übernatürliches Licht in seine schrecklichen Augen getreten war. Er hatte gesehen, wie sie erstarrt dagestanden hatten – unfähig, näher heranzugehen, unfähig zu fliehen, Zeugen des grässlichen Geschehens.
    Hinterher, als ihre Erstarrung sich wieder gelöst hatte – als ihre Herzen wieder zu schlagen begonnen hatten –, hatten sie vielleicht Mitleid gehabt. Rhulad hatte hemmungslos geweint, und sein einziger Trost war der Arm des Sklaven um seine Schultern gewesen. Und Forcht und Trull hatten zugesehen, während der K’risnan zusammengekauert und stumm hinter ihnen auf dem Boden gehockt hatte, bis zu dem Zeitpunkt, da der Imperator sich wieder gefangen hatte, bis er all das, was er einst gewesen war – bevor das Schwert den Weg in seine Hände gefunden hatte –, wieder entdeckt hatte: das Kind und den Bruder und den frisch gebluteten Krieger, die sich ängstlich in seinem Innern zusammenkauerten, aber dort immer noch am Leben waren.
    Auf ihrer Rückreise war wenig gesprochen worden, doch in ihrer Hast hatten sie die Pferde zuschanden geritten, und für alle außer Udinaas war der Ritt eine Flucht gewesen. Nicht vor dem Forkrul Assail und seiner unabänderlichen Faszination für den Frieden erkalteter Leichname, sondern vor dem Tod und der Wiedergeburt des Imperators der Tiste Edur.
    Fünfzehn Meilen vor Brans Feste stießen sie wieder zur Armee, wo Hannan Mosag ihnen berichtete, dass Kontakt zu den K’risnan in den anderen beiden Armeen hergestellt worden war und sich alle dem vom Schicksal bestimmten Schlachtfeld näherten, wo – wie die Schattengespenster festgestellt hatten – die Streitkräfte der Letherii auf sie warteten.
    Einzelheiten, das zittrige Geflecht der Vorbereitungen – Udinaas stand ihnen gleichgültig gegenüber, dem Hauch von Ordnung in einem scheinbaren Chaos. Eine Armee auf dem Marsch war wie eine führerlose Wanderung, bei der jedes Tier von Instinkten geleitet wurde, von den Geboten der Gewalt. Armeen folgten dem Weg von der Komplexität zur Einfachheit. Das war es, was sie vorwärts trieb. Ein Feld erwartete sie, auf dem alle Dinge reduziert wurden, auf dem Staub und Schreie und Blut kalte Klarheit brachten. Dies war der geheime Hunger von

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