SdG 09 - Gezeiten der Nacht
Kriegern und Soldaten, von Regierungen und Königen und Imperatoren. Die einfachen Mechanismen von Sieg und Niederlage, die perfekte Finte, die jedes Auge anzog und jeden Verstand in das sanfte Spiel lockte. Im Blickpunkt die Waagschalen. Schätze die Mittel ab und denke über Gleichgewicht nach, betrachte die Leichen, die wie Münzstapel aufgeschichtet sind, und die Zeit vergeht, während die Gedanken fruchtlos weiterkreisen wie ein Mühlstein, und die ganze Welt jenseits davon war einen Moment lang unbeweglich und verschwommen – solange niemand an den Tisch stieß.
Udinaas beneidete die Krieger und Soldaten um ihr einfaches Leben. Für sie gab es keine Rückkehr vom Tod. Sie sprachen eine einfache Sprache – die Sprache der Verneinung. Sie kämpften für den Krieger, den Soldaten an ihrer Seite, und selbst das Sterben hatte einen Sinn – was, wie er mittlerweile glaubte, das seltenste Geschenk überhaupt war.
Zumindest hätte es so sein sollen, doch der Sklave wusste, dass es anders sein würde. In der bevorstehenden Schlacht würde Zauberei die Waffe sein. Vielleicht war dies tatsächlich das Gesicht zukünftiger Kriege überall auf der Welt. Sinnlose Vernichtung, die Auslöschung unzähliger Leben. Eine logische Erweiterung von Regierungen, Königen und Imperatoren. Krieg als Zusammenprall von Willenskräften, als Wettstreit, dem seine Kosten gleichgültig waren, ein Versuch herauszufinden, wer als Erster zwinkern würde – und das alles nicht einmal wichtig zu nehmen. Krieg als eine Form der Beschäftigung, die sich nicht vom Münzraub der Burse unterschied und somit ungeheuer nachvollziehbar war.
Die Tiste Edur und ihre Verbündeten stellten sich gegenüber der Armee der Letherii auf, das Tageslicht wurde schwächer, gedämpft von der dräuenden Wolke aus schwebendem Staub. An einigen Stellen knisterten magische Energien, und die Luft schimmerte – ein vorsichtiges Entweichen der Macht, die von beiden Seiten bereitgehalten wurde. Udinaas fragte sich, ob jemand, ob überhaupt irgendjemand diesen Tag überleben würde. Und die, die überlebten – welche Lehren würden sie aus dieser Schlacht ziehen?
Manchmal geht das Spiel zu weit.
Sie stand neben ihm, stumm und klein und in ein geschmeidiges, ungefärbtes Hirschfell gehüllt. Sie hatte nichts gesagt, keinen Grund genannt, warum sie sich zu ihm gestellt hatte. Er kannte ihren Geist nicht, konnte nicht erraten, was sie dachte. Ihre Gedanken waren ihm unbekannt und unmöglich zu erkennen.
Doch jetzt hörte er, wie sie zitternd Luft holte.
Udinaas warf ihr einen Blick zu. »Die blauen Flecken sind fast verschwunden«, sagte er.
Federhexe nickte. »Ich sollte dir danken.«
»Das ist nicht nötig.«
»Gut.« Ihre Heftigkeit schien sie ins Stocken geraten zu lassen. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Wovon?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wovon, fragt er. Beim Abtrünnigen, Udinaas, Lether steht kurz vor dem Untergang.«
»Wahrscheinlich. Ich habe mir die letheriischen Streitkräfte lange und gründlich angesehen. Hier und da sehe ich Menschen, die ich für Magier halte. Aber den Ceda habe ich nicht gesehen.«
»Er muss hier sein. Wie könnte es anders sein?«
Udinaas sagte nichts.
»Du bist kein Schuldner mehr.«
»Und spielt das eine Rolle?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie schwiegen. Standen stumm auf einer Anhöhe nordwestlich des Schlachtfelds. Sie konnten die vordere Mauer von Brans Feste ausmachen – einer gedrungenen, beeindruckenden Zitadelle, die sich an eine steile Klippe schmiegte. Ecktürme flankierten die Mauer, und auf ihnen standen große, fest verankerte Mangonels, umgeben von ihren Bedienungsmannschaften. Außerdem befand sich auf beiden Türmen ein Magier mit erhobenen Armen – ein Zeichen dafür, dass ein Ritual im Gange war, das die beiden an Ort und Stelle band. Vermutlich ein Schutzzauber, denn am Fuße der Feste hatte der Hauptteil des Königs-Bataillons Aufstellung genommen.
Westlich dieses Bataillons sprang der Hügelkamm ein kurzes Stück vor, und auf seiner anderen Seite waren Teile der Schweren Infanterie des Königs zusammen mit der Zerrissenen Brigade positioniert. Wiederum westlich davon warteten Kompanien des Schlangengürtel-Bataillons, dessen ferne äußere Flanke von der Rotwut-Brigade geschützt wurde, in deren Rücken sich im Westen die äußersten Ausläufer von Brans Hügelkette erhoben, während im Süden der Dissens dahinströmte.
Die Aufstellung der
Weitere Kostenlose Bücher