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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Auftraggeber gefunden und meinen Trupp abgeliefert habe«, sagte er, »werde ich Euch noch einen Besuch abstatten, wir müssen also nicht gleich hier und jetzt sentimental werden.«
    »In Ordnung.«
    »Ein Tag, nicht länger, dann werde ich Euch wiedersehen, Freisprecherin.«
    Sie nickte.
    Der Bekenner und sein Magier schwangen sich wieder in den Sattel. Der Trupp ritt davon.
    Seren blickte ihnen ein, zwei Herzschläge lang nach, dann drehte sie sich um und ging den Pfad entlang. Der Schlüssel für das komplizierte Schloss lag unter dem zweiten Pflasterstein.
    Die Tür quietschte, als sie sie aufstieß, und ein staubiger Geruch quoll nach draußen und hüllte sie ein. Sie trat ins Innere des Hauses und zog die Tür hinter sich zu.
    Düsternis – und Stille.
    Sie blieb einige Zeit reglos stehen. Vor ihr erstreckte sich der Korridor. Die Tür an seinem Ende stand offen, und sie konnte in das Zimmer dahinter sehen; Sonnenlicht sickerte durch die Vorhänge vor dem Fenster an der hinteren Wand. Ein hochlehniger Stuhl stand genau in ihrer Blickrichtung, mit Musselin abgedeckt.
    Ein Schritt, dann noch einer. Weiter, den Korridor entlang. Direkt vor der Türschwelle der halb vermoderte Kadaver einer Eule, die wie schlafend auf dem Fußboden lag. Sie machte einen Schritt zur Seite und trat dann in das Zimmer, bemerkte die leichte Brise, die von dem zerbrochenen Fenster zum Hinterhof kam. Wahrscheinlich war die Eule da hereingekommen.
    Links und rechts von ihr standen geisterhafte Möbelstücke, doch sie konnte den Blick nicht von dem Stuhl abwenden. Sie ging darauf zu und setzte sich hin, ohne den Musselinüberwurf abzunehmen.
    Blinzelnd blickte Seren sich um.
    Schatten. Stille. Der schwache Geruch nach Verfall. Die tote Eule, die gleich hinter der Türschwelle lag.
    »Das ist Seren Pedacs … Reich«, flüsterte sie.
    Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt.
     
    Während Kompanien von Gerun Ebericts Soldaten sich durch einen Haufen in die Enge getriebener Bürger metzelten – Teilnehmer eines Zugs von Anhängern des Königs, die unterwegs zum Ewigen Domizil gewesen waren, um die Amtseinführung zu bejubeln –, Bürger, deren Blut jetzt auf den Pflastersteinen klebte, um diesen glorreichen Tag zu markieren; während Zehntausende von Staren sich immer näher an den alten Turm heranschoben, der einst ein Azath gewesen und nun die Feste des Todes war; während Tehol Beddict – der sich nicht mehr auf seinem Dach befand – auf Geheiß von Shurq Elalle durch düstere Straßen unterwegs zu Shelush war; während Kessel, das kleine Mädchen, das einst tot gewesen, aber mittlerweile wieder sehr lebendig war, auf den Stufen des alten Turms saß und leise vor sich hin sang und dabei Grashalme zu Strängen flocht; während die Sonnenstrahlen die Wolken aus dunstigem Rauch wie Lichtspeere durchbohrten – während all diese Dinge geschahen, begannen in Letheras die Glocken zu läuten.
    Um die Geburt eines Imperiums zu verkünden.
    Und das Ende der Siebten Schließung.
    Doch die Schriftgelehrten hatten sich geirrt. Die Siebte Schließung würde erst noch stattfinden.
    In zwei Tagen.
    Mit verschränkten Armen in der Nähe des alten Palasts an einer Wand lehnend blickte der Erste Galan Turudal Brizad – der Gott, der als der Abtrünnige bekannt war – zum Himmel und den dort einherwirbelnden Wolken aus Staren empor, während die Glocken weiterdröhnten, tief und bebend.
    »Unangenehme Vögel«, sagte er zu sich. »Stare …«
    Noch zwei Tage.
    Ein zutiefst tragischer Rechenfehler, fürchte ich.
    Wirklich zutiefst tragisch.

Kapitel Zwölf
     
    »Eine riesige unterirdische Höhle gähnte unter dem Becken, die Kruste spröde und porös. Hätte man in der uralten Höhle gestanden, es hätte unaufhörlich geregnet. Doch auch so speisten elf Flüsse die Marschlande, die eines Tages zur Stadt Letheras würden, und der Prozess der Erosion, der in dem Zusammenbruch des Beckens und der katastrophalen Trockenlegung der Flüsse und Sümpfe gipfelte, zog sich hin. Daher ist der Trübsee – so bescheiden er auch sein mag – es wert, dass man sich seiner außerordentlichen Tiefe erinnert. Tatsächlich ist der See einem Dach vergleichbar, und die gewaltige Höhle darunter ist das dazugehörige Haus. Und so sollte man nicht überrascht sein, dass Burdo – der einzige Fischer auf dem Trübsee – mitsamt seinem Fischerboot und seinen Netzen und allem anderen in die Tiefe gezogen wurde. Genauso wenig wie über die Tatsache, dass seit damals,

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