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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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deine Anschuldigungen zurück. Sie sind unbegründet. Es ist verboten, den Kommandanten herauszufordern –«
    »Das reicht«, schnappte Canarth. »Dich werde ich als Nächsten töten, Verräter.«
    Trull nahm eine Standardposition ein, verlagerte dann sein Gewicht und wartete.
    Canarth packte den Schaft seines Speers eine Handbreit weiter hinten und reckte die Waffe prüfend nach vorn; die eiserne Spitze befand sich in Höhe von Trulls Kehle.
    Trull achtete nicht darauf, sondern ließ seine Hände am Schaft seines Speers entlanggleiten. Dann drückte er seinen eigenen Speerschaft gegen den von Canarth, hielt diesen Kontakt, während er einen Schritt nach vorn machte. Canarth löste sich von ihm, indem er die eiserne Spitze in einer perfekt angesetzten Bewegung herunterbrachte und zu einem Stoß unter Trulls Deckung hindurch ansetzte, doch Trull stand bereits zu dicht vor ihm und zwang Canarth dadurch, seine Waffe zurückzuziehen, gerade, als der Sergeant das hintere Ende des Schafts hochschwang, um den Aufwärtsstoß zu blockieren, den er erwartete – der jedoch ausblieb. Stattdessen riss Trull seinen Speer horizontal in die Höhe und knallte ihn Canarth mit Wucht an die Stirn.
    Der Sergeant fiel auf den Rücken.
    Trull stand über ihm, musterte den betäubt daliegenden Mann; aus einer Platzwunde auf seiner Stirn sickerten dünne Blutfäden.
    Die anderen Krieger gaben ihrem ungläubigen Erstaunen lautstark Ausdruck; sie konnten kaum glauben, was sie gerade gesehen hatten – Trulls phänomenalen, täuschend einfach wirkenden Angriff und die unglaubliche Schnelligkeit, mit der er ihn ausgeführt hatte. Er schaute nicht auf.
    Ahlrada Ahn trat dicht an ihn heran. »Töte ihn, Trull Sengar.«
    Doch Trulls Wut war verraucht. »Ich sehe keine Notwendigkeit dafür –«
    »Dann bist du ein Narr. Er wird nicht vergessen, was du ihm angetan hast –«
    »Vermutlich nicht.«
    »Forcht muss davon erfahren. Canarth muss bestraft werden.«
    »Nein, Ahlrada Ahn. Kein Wort davon zu ihm.« Er hob den Kopf und blickte gen Norden. »Lass uns Binadas und meinen Vater begrüßen. Ich würde gerne Geschichten über Tapferkeit hören, über Kämpfe.«
    In den Augen des dunkelhäutigen Kriegers flackerte es auf, dann wandte er den Blick ab. »Die Schwestern sollen mich holen, Trull, aber – das würde ich auch gerne.«
     
    Es gab keine alten Frauen, die über dieses Schlachtfeld strichen, Ringe von Fingern streiften und allmählich steif werdenden Leichen die leicht befleckte Kleidung auszogen. Es gab keine Geier, keine Krähen oder Möwen, die sich auf das gigantische Festmahl stürzten. Es gab nichts mehr aus der Schlacht zu lernen, die nun vorbei war, keine verstreut herumliegenden Gestalten, die von hinten niedergehauen worden waren – nicht hier, in der Mitte der Senke –, keine letzte Bastion aus blutbespritzen Leichenhaufen, umgeben von Wällen aus Leichen. Keine schiefen Standarten, die nur vom Druck des kalten Fleischs noch aufrechtgehalten wurden und deren Wappen auf das Gemetzel heruntergrinsten. Es gab nur Knochen und glänzenden Stahl, weiße Zähne und glitzernde Münzen.
    In leise flüsternden Schleiern sank der Staub langsam zu Boden und deckte freundlicherweise den Teppich aus vom Zufall verstreuten Überresten von Menschen und Tiste Edur zu.
    Als Udinaas den Imperator und seine erwählten Brüder einholte, hatten diese schon fast den Fuß des Hügels erreicht. Beim Überqueren des Schlachtfelds hatten sie eine Staubfahne aufgewirbelt, die noch weiß und zögernd in ihrem Kielwasser hing. Rhulad hielt sein Schwert in seiner linken Hand; die Klinge schwankte im Zwielicht. Die ungleichmäßige Rüstung aus Gold war von dunklen Schweißspuren überzogen, und das Bärenfell um die Schultern des Imperators erinnerte an das matte Silber der Wolken.
    Udinaas konnte in Rhulads Gesicht erkennen, dass er dem Wahnsinn nahe war. Enttäuschung hatte eine Wut entfacht, die sich in jeder Richtung Bahn brechen konnte. Hinter dem Imperator, der sich daran machte, den Hang zu ersteigen und dorthin zu gehen, wo Hannan Mosag wartete, kamen Theradas und Midik Buhn, Choram Irard, Kholb Harat und Matra Brith. Alle außer Theradas alte Freunde von Rhulad, und Udinaas war nicht erfreut, sie zu sehen. Den düsteren Blicken, die sie dem Sklaven zuwarfen, nach zu urteilen, freuten sie sich auch nicht gerade darüber, dass er gekommen war.
    Udinaas hätte beinahe laut aufgelacht. Genau wie im Palast in Letheras – die einzelnen Gruppierungen

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