Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
ihrem Gesicht verschwunden war. Jetzt endlich war da nichts als Frieden. Jetzt war ihr Gesicht wieder so, wie er es früher gesehen hatte, wenn sie geschlafen hatte. Oder mit den anderen Maiden gesungen hatte. Als er ihr das Schwert gebracht hatte, das sie dann in ihre Hände genommen hatte. Um es unter der Schwelle ihres Heims zu vergraben. Er wollte nicht an andere Zeiten denken, als er eine gewisse Dunkelheit in ihren Augen entdeckt und sich gefragt hatte, was ihren Geist verändert haben mochte – solche Dinge konnte ein Mann nicht wissen, durfte er niemals wissen. Schreckliche Geheimnisse, die einen Mann lockten und zur Liebe verführten, zur Faszination und manchmal zu zitterndem Entsetzen.
    Jetzt stand in ihrem Gesicht nichts dergleichen mehr zu lesen. Nur Friede. Als würde sie – genau wie das Kind in ihrem Schoß  – hier auf der Straße schlafen.
    Forcht hockte sich hin, kniete sich neben sie. Er schloss eine Hand um den Horngriff des Fischermessers und zog es vorsichtig aus ihrer Brust. Betrachtete es genauer. Das Werkzeug eines Sklaven. Ganz unten am Knauf war ein kleines Zeichen eingeritzt – eines, das er erkannte.
    Das Messer hatte Udinaas gehört.
    War dies sein Geschenk? Ein Friedensangebot? Oder einfach nur ein weiterer tödlicher Racheakt an der Edur-Familie, der er gehört hatte? Die ihm seine Freiheit geraubt hatte? Er hat Rhulad im Stich gelassen. Genau wie ich. Und deshalb habe ich kein Recht, ihn dafür zu hassen. Aber … was ist mit dem hier?
    Er stand auf, steckte das Messer in seinen Gürtel.
    Mayen war tot. Das Kind, das er geliebt hätte, war tot. Hier gab es eine Macht, irgendeine Macht, die wild daraufwar, ihm alles zu nehmen.
    Und er wusste nicht, was er tun sollte.
     
    Von der blutüberströmten, verdrehten Gestalt auf dem Fußboden des Thronsaals kam ein Weinen, ein unaufhörliches Weinen. Zehn Schritt entfernt hockte Trull auf den Knien und hielt sich die Ohren zu; er wollte, dass es aufhörte, wollte, dass irgendjemand dafür sorgte, dass es aufhörte. Dieser Augenblick … Er war tief in sich selbst gefangen. Es würde nicht aufhören. Ein ewiger Chor Mitleid erregenden Weinens, der sich in seinen Schädel fraß.
    Hannan Mosag schleppte sich auf den Thron zu. Er war so gebeugt und verkrüppelt, dass er sich kaum mehr als ein paar Handbreit vorwärts bewegen konnte, ehe die Schmerzen in seinem Körper ihn zwangen, wieder eine Pause zu machen.
    Von allen Letherii war nur einer geblieben; warum und wie er wieder aufgetaucht war, war ein Geheimnis, doch da stand er mit ernstem, aber wachsamem Gesichtsausdruck an der hinteren Wand. Jung, gut aussehend und irgendwie … sanft. Also kein Soldat. Er hatte noch nichts gesagt, schien zufrieden damit, alles zu beobachten.
    Wo waren die anderen Edur? Trull konnte es nicht begreifen. Sie hatten Binadas bewusstlos, aber am Leben am hinteren Ende des Korridors zurückgelassen. Er wandte den Kopf in jene Richtung, sah die hingekauerten Gestalten der Königin und ihres Sohnes neben dem Eingang. Der Prinz war entweder tot oder schlief. Die Königin beobachtete einfach nur, wie Hannan Mosag qualvoll auf das Podest zukroch, und fletschte die Zähne zu einem feuchten Lächeln.
    Ich muss Vater finden. Er wird wissen, was zu tun ist … Nein, es gibt da nichts zu wissen, oder? Nur, dass es … nichts zu tun gibt. Überhaupt nichts. Und das war das eigentlich Entsetzliche.
    »Bitte … Trull …«
    Trull schüttelte den Kopf, versuchte, nicht hinzuhören.
    »Alles, was ich wollte … von dir und Forcht und Binadas. Ich wollte, dass ich …, dass ich zu euch gehöre. Kein Kind mehr sein, verstehst du? Das ist alles, Trull.«
    Hannan Mosag stieß ein ächzendes Lachen aus. »Respekt, Trull. Das wollte er. Aber wie bekommt man Respekt? Durch ein Schwert? Durch ein Vermögen aus Goldmünzen, die einem in die Haut eingebrannt sind? Durch einen Titel? Durch das anmaßende, abscheuliche wir, das er jetzt andauernd benutzt? Durch nichts von alledem? Nun, wie wäre es damit, die Frau seines Bruders zu stehlen?«
    »Sei still«, sagte Trull.
    »Sprich nicht so mit deinem König, Trull Sengar. Das wird dich … teuer zu stehen kommen.«
    »Soll ich angesichts deiner Drohungen vor Angst erzittern, Hexenkönig?«
    Trull ließ die Hände von den Ohren sinken. Die Geste hatte sich als nutzlos erwiesen. In diesem Raum war selbst das leiseste Flüstern deutlich zu hören. Außerdem konnte man nicht äußerlich taub sein, wenn man es innerlich nicht war. Er

Weitere Kostenlose Bücher