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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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zweierlei Augen gesehen. Es war sehr merkwürdig. Die einen Augen waren hinter den Binden, die anderen standen in der Nähe.«
    »Was hat dir der Azath sonst noch gezeigt?«
    »Wie jene Augen von außen aussehen. Da waren noch fünf andere. Wir standen einfach nur auf der Straße, haben die Familie beobachtet, die den Leichnam getragen hat. Meinen Leichnam. Wir waren zu sechst. Wir waren einen weiten Weg gegangen, wegen der Träume. Wir waren schon seit Wochen in der Stadt und haben darauf gewartet, dass der Azath jemanden erwählt. Aber ich war nicht wie die fünf anderen, auch wenn wir aus dem gleichen Grund hier waren und zusammen gereist waren. Die anderen waren Nerekhexen, und sie haben mich vorbereitet. Mein Ich draußen, nicht mein Ich, das eingewickelt war.«
    »Dein Ich draußen, Kessel, war das ein Kind?«
    »Oh, nein. Ich war groß. Nicht so groß wie du. Und ich musste dauernd die Kapuze hochgeschlagen lassen, damit niemand sehen konnte, wie anders ich war. Ich war von sehr, sehr weit her gekommen. Als ich jung gewesen war, war ich durch heißen Sand gewandert – den Sand, der das Erste Imperium bedeckte. Was auch immer das ist.«
    »Wie haben die Nerekhexen dich genannt? Hattest du einen Namen?«
    »Nein.«
    »Einen Titel?«
    Sie zuckte die Schultern. »Ich habe das alles vergessen. Sie haben mich die Namenlose genannt. Ist das wichtig?«
    »Ich glaube, das ist es, Kessel. Auch wenn ich nicht genau weiß, in welcher Hinsicht. Vieles in dieser Sphäre bleibt mir unbekannt. Ich war noch sehr jung, als ich eingesperrt wurde. Bist du dir sicher, dass ›Namenlose‹ tatsächlich ein Titel war? Oder haben die Nerek dich vielleicht nur deshalb so genannt, weil sie deinen wahren Namen nicht gekannt haben?«
    »Es war ein Titel. Sie haben gesagt, ich wäre von Geburt an vorbereitet worden. Dass ich ein echtes Kind von Eres wäre. Und dass ich die Antwort auf die Siebte Schließung wäre, denn ich hätte das Blut der Verwandten. ›Das Blut der Verwandten.‹ Was haben sie damit gemeint?«
    »Wenn ich endlich frei bin«, sagte er, und seiner Stimme war die Anstrengung anzuhören, »werde ich in der Lage sein, dich körperlich zu berühren, Kessel. Dir meine Finger auf die Stirn zu legen. Und dann werde ich eine Antwort für dich haben.«
    »Ich vermute, diese Eres war meine wirkliche Mutter.«
    »Ja.«
    »Und bald wirst du wissen, wer mein Vater ist.«
    »Ich werde sein Blut erkennen, ja. Zumindest das.«
    »Ich frage mich, ob er wohl noch am Leben ist.«
    »Ich weiß, wie die Eres ihr Spiel spielt, Schätzchen. Von daher ist es gut möglich, dass er jetzt noch gar nicht dein Vater ist. Sie wandert durch die Zeit, Kessel, auf eine Weise, die niemand sonst verstehen, geschweige denn es ihr gleichtun kann. Und dies ist durch und durch ihre Welt. Sie ist das Feuer, das niemals stirbt.« Er unterbrach sich kurz, ehe er fortfuhr: »Sie wird mit großer Bedachtsamkeit wählen – oder hat es bereits getan. Dein Vater war, ist oder wird jemand von großer Bedeutung sein.«
    »Wie viele Seelen sind dann also in mir?«
    »Zwei, die sich den Körper eines Kindes teilen. Schätzchen, wir werden irgendeine Möglichkeit finden müssen, wie wir dich irgendwann aus diesem Körper rauskriegen.«
    »Warum?«
    »Weil du etwas Besseres verdient hast.«
    »Ich will zurück. Bringst du mich jetzt zurück?«
     
    »Was den Aal selbst angeht, habe ich aufgegeben«, sagte Bagg, während er die Suppe ausschöpfte. »Er ist immer noch zu zäh.«
    »Nichtsdestotrotz, mein lieber Diener, riecht es wunderbar.«
    »Das muss der Wein sein. Mit freundlicher Empfehlung der Obersten Untersuchungsbeamtin Rucket, deren Bitte um ein Treffen mit Euch aus Gründen erfolgt ist, die nicht ausschließlich beruflicher Natur waren.«
    »Und wie ist es dir in meinem Namen ergangen?«
    »Ich habe sichergestellt, dass sich ihr Interesse an Euch noch vertieft hat, Herr.«
    »Indem du den Kontrast zu mir verstärkt hast?«
    »In der Tat.«
    »Nun, ist das eine gute Sache? Ich meine, sie ist ziemlich furchterregend.«
    »Ihr wisst ja nicht einmal die Hälfte. Sei’s drum, sie ist außergewöhnlich klug.«
    »Oh, das mag ich ganz und gar nicht, Bagg. Weißt du, ich habe plötzlich so einen fischigen Geschmack im Mund. Jedenfalls ein Hinweis. Wie ausgetrocknet war der Aal eigentlich, den du gefunden hast?«
    Der Diener suchte mit seiner Schöpfkelle und hob das erwähnte Objekt ins Blickfeld. Schwarz, zerfurcht und nicht halb so schlaff, wie es hätte sein

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