Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
sie sich auf Hände und Knie auf.
    Nekal Bara stand ganz in der Nähe, ihre Haare und ihre Kleider unberührt von dem Wind, der ringsum tobte.
    Schlammiger Regen rieselte aus der merkwürdig dicken Luft. Es stank nach verbranntem Holz, vermischt mit dem herben Geruch von geborstenem Stein.
    Hinter ihnen war der Wind erstorben, und der Regen trommelte auf die Erde. Die Dunkelheit war zurückgekehrt, und wenn jenseits der Berge noch irgendwo ein Feuer brannte, so war aus dieser Entfernung davon nichts zu erkennen.
    Buruk der Bleiche kam an ihre Seite gewankt, das Gesicht schlammbespritzt. »Er hat die Woge nicht abgewehrt, Freisprecherin!«, keuchte er. »Es ist so gekommen, wie ich gesagt habe: keine Zeit, sich vorzubereiten.«
    Ein Soldat rief: »Hol uns der Abtrünnige! Was für eine Macht!«
    Es gab einen guten Grund, warum Lether niemals einen Krieg verloren hatte. Selbst die Onyx-Magier von Blaurose waren von den Kadern des Ceda zerschmettert worden. Ganz egal, ob Erzpriester, Schamanen, Hexen oder bösartige einzelgängerische Zauberer – niemand hatte es jemals geschafft, solcher Wildheit lange standzuhalten.
    Seren fühlte sich innerlich krank. Krank – und beraubt.
    Das ist kein Krieg. Das ist … was? Abtrünniger, rette uns, ich habe keine Antwort, keine Möglichkeit, das Ausmaß dieses Gemetzels zu beschreiben. Es ist rücksichtslos. Blasphemisch. Als hätten wir jede Würde vergessen. Ihre und unsere eigene. Und die der Welt. Da ist kein Unterschied mehr zwischen Unschuld und Schuld, alles ist verdammt durch seine bloße Existenz. Menschen, die gegen ihren Willen in nichts weiter als Symbole verwandelt wurden, in flüchtige Vertreter, die Quellen allen Übels und aller Frustration.
    Ist es dies, was getan werden muss? Fülle den Körper des Feindes mit Krankheiten, so dass er bei Berührung verderblich und tödlich ist, zum giftigen Atem wird? Und das, was krank ist, muss ausgerottet werden, damit es sein Gift nicht verbreiten kann.
    »Ich bezweifle«, sagte Buruk, und seine Stimme klang hohl, »dass sie Zeit hatten zu leiden.«
    Das stimmt. Das bleibt uns überlassen.
    Es hatte keine Verteidigung gegeben. Hannan Mosag, Rhulad, Udinaas, der Sklave, und Federhexe. Hull Beddict. Die Namen rutschten in ihren Gedanken davon, und dann sah sie – und in ihrem Innern zog sich bei dem Anblick plötzlich etwas schmerzhaft zusammen, was sie entsetzte – das Gesicht von Trull Sengar. Nein. Ich habe an Hull gedacht. Nein. Warum an ihn? »Aber sie sind tot.«
    »Sie sind alle tot«, sagte Buruk neben ihr. »Ich brauche etwas zu trinken.«
    Er zupfte sie am Arm.
    Sie bewegte sich nicht. »Wir können nirgendwo mehr hingehen.«
    »Freisprecherin. Die Taverne neben der Herberge ist fest genug gebaut, um eine Belagerung zu überstehen. Ich nehme an, da sind diese Soldaten gerade hingegangen, um auf ihre toten Kameraden zu trinken. Arme Narren. Die Toten, meine ich natürlich. Kommt, Seren. Ich bin gerade in der Stimmung, einen auszugeben.«
    Blinzelnd schaute sie sich um. Die Magier waren fort.
    »Es regnet, Freisprecherin. Lasst uns gehen.«
    Seine Hand schloss sich um ihren Arm. Sie erlaubte ihm, sie mitzuziehen.
     
    »Was ist geschehen?«
    »Ihr habt einen Schock erlitten, Freisprecherin. Was nicht überraschend ist. Hier, ich habe ein wenig Tee für Euch – er kommt vom Kapitän. Genießt die Sonne, von der haben wir in letzter Zeit nicht viel gehabt.«
    Die sanfte Strömung des Flusses trug die Barkasse dem Meer entgegen. Voraus glühte die Sonne kupferfarben, doch die Brise, die über die sich kräuselnde Wasseroberfläche strich, war warm.
    Sie nahm ihm den Becher aus den Händen.
    »Wir werden bei Anbruch der Abenddämmerung dort sein«, sagte Buruk. »Eigentlich sollten wir schon bald die Silhouette ausmachen können. Oder zumindest den Rauch.«
    »Den Rauch«, sagte sie. »Ja, den wird’s auch wieder geben.«
    »Seht es doch einmal so, Seren: Ihr werdet mich schon bald los sein.«
    »Nicht, wenn es nun doch keinen Krieg gibt.«
    »Doch. Ich habe vor, Euch auf jeden Fall von Eurem Kontrakt zu entbinden.«
    Sie schaute zu ihm hinüber, musste sich anstrengen, ihn klar und deutlich zu erkennen. Da war diese Nacht gewesen. Nach dem magischen Angriff. In der Taverne. Ausgelassene Soldaten. Spähtrupps, die am nächsten Tag – also heute – gen Norden aufbrechen würden. Allmählich erinnerte sie sich wieder an Einzelheiten, an den Schimmer einer merkwürdigen Aufregung, so fahl wie die Öllampen der Taverne.

Weitere Kostenlose Bücher