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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Droge oder die Einladung zur Hingabe an die Sucht. Sie wollte keine neuen Herren, die über ihr Leben bestimmten. Und auch nicht die Bürde von Freundschaften.
    Hinter ihr erklang eine krächzende Stimme. »Was ist mit Euch los?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, Buruk.« Müde rappelte sie sich auf. »Wir haben die Grenze erreicht.«
    »Ich bin nicht blind, Freisprecherin.«
    »Wir können noch ein Stück weitergehen und dann unser Lager aufschlagen.«
    »Ihr haltet mich für schwach, stimmt’s?«
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ihr seid krank vor Erschöpfung, Buruk. Genau wie ich. Was für einen Sinn hat all diese gespielte Tapferkeit?«
    Sein Gesichtsausdruck verriet plötzlich Schmerz, dann wandte er sich ab. »Ich werde es Euch schon bald zeigen.«
    »Was ist mit meinem Kontrakt?«
    Er blickte sie nicht an. »Der ist hinfällig. Sobald wir Trate erreichen. Ich entbinde Euch von jeder weiteren Verantwortung.«
    »So sei es«, sagte sie und ging zu ihrem Packen.
     
    Mit ihrem letzten Rest Holz entfachten sie ein kleines Feuer. Wie es schien, kümmerten die Gespenster sich nicht um Grenzen, denn sie huschten noch immer am Rand des flackernden Lichtscheins umher. Ihr Interesse schien aufs Neue erwacht, und Seren glaubte zu wissen, woran das lag. Die Geister in der steinernen Mauer. Sie war jetzt gezeichnet.
    Gebieterin der Feste. Gebieterinnen. Es gibt zwei, und sie glauben, ich wäre eine davon. Eine Lüge. Ein Fehler.
    Und … welche Feste meinen sie?
    »Ihr wart jung«, sagte Buruk plötzlich, den Blick auf das Feuer gerichtet. »Als ich Euch das erste Mal gesehen habe.«
    »Und Ihr wart glücklich, Buruk. Na und?«
    »Glück. Oh ja, das ist eine vertraute Maske. Stimmt, damals habe ich sie oft getragen. Und mich an allem erfreut – an meinem Spionieren, meinen unaufhörlichen Treuebrüchen, meinen Betrügereien und dem Blut, das wieder und wieder auf meinen Händen erschien.«
    »Worüber redet Ihr eigentlich?«
    »Über meine Schuld, Freisprecherin. Oh ja, nach außen hin gelte ich als angesehener Kaufmann … von mittlerem Wohlstand.«
    »Und was seid Ihr wirklich?«
    »Ich bin an einem Ort angekommen, wo es keine Träume mehr gibt, Seren Pedac. In jenem bröckeligen Gebäude, in dem das Selbstwertgefühl herumwankt. Ihr steht da, habt zu viel Angst, Euch von der Stelle zu rühren, und schaut Euren Händen zu, wie sie sich bewegen, wie sie jeden Traum, jedes Antlitz desjenigen Gesichts zerfleischen, das Ihr Euch ersehnt – Eures wahren Gesichts hinter der Maske. Es ist nicht hilfreich, Wahrheiten auszusprechen.«
    Sie dachte einige Zeit nach, dann kniff sie die Augen ein wenig zusammen. »Ihr werdet erpresst.« Da von ihm kein Widerspruch kam, fuhr sie fort: »Ihr seid ein Schuldner, stimmt’s?«
    »Schulden fangen klein an. Sie sind anfangs kaum wahrnehmbar, nur etwas Vorübergehendes. Und so werdet Ihr gebeten, als Rückzahlung etwas zu tun. Etwas Schändliches, etwa einen Verrat. Und dann haben sie Euch. Und Ihr seid aufs Neue verschuldet, denn Ihr müsst dafür sorgen, dass Euer Geheimnis gewahrt bleibt, Ihr müsst dankbar dafür sein, dass Euer Verbrechen nicht offen gelegt wird – das Verbrechen, das seither größer geworden ist. Wie es immer geschieht, wenn man ein Gewissen hat.« Er schwieg einen Augenblick, ehe er seufzte und fortfuhr: »Ich beneide diejenigen, die kein Gewissen haben.«
    »Könnt Ihr da nicht irgendwie rauskommen, Buruk?«
    Er starrte weiter in die Flammen. »Natürlich kann ich das«, sagte er leichthin.
    Der Tonfall, der so gar nicht zu allem anderen passte, was er gesagt hatte, ängstigte sie. »Macht Euch … unnütz, Buruk.«
    »In der Tat, das scheint mir der richtige Weg zu sein, Freisprecherin. Und ich habe es eilig, genau das zu tun.« Er stand auf. »Zeit zu schlafen. Nur noch die Hügel hinunter zum Fluss, dann können wir unsere wunden Füße den ganzen Weg bis nach Trate ins kühle Wasser baumeln lassen.«
    Sie blieb noch einige Zeit länger wach – zu müde, um zu denken, zu benommen, um Furcht zu empfinden.
    Über dem Feuer verschwammen Funken und Sterne untrennbar miteinander.
     
    In der Abenddämmerung des folgenden Tages erreichten die beiden Reisenden Kraigs Landestelle und stellten fest, dass die drei baufälligen Gebäude von den Zelten eines lagernden Regiments umgeben waren. Überall waren Soldaten, und am Pier hatte eine reich verzierte, prächtig ausgestattete Barkasse festgemacht, über der das Banner des Königs in der schwachen Brise

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