SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
unzerbrechlichen Ketten durchzogen, und Körper lagen an diese Ketten gefesselt vergraben im Staub. Sowohl sie als auch Cotillion waren auf Menhire und Grabhügel gestoßen, auf alte Bäume, steinerne Mauern und Felsbrocken, die allesamt namenlose Gefangene beherbergten – Dämonen, Aufgestiegene, Wiedergänger und Gespenster. In der Mitte eines Steinkreises waren drei Drachen angekettet gewesen, die allem äußeren Anschein nach tot waren, doch ihr Fleisch vertrocknete nicht und verweste nicht, und Staub überzog Augen, die immer offen blieben. Cotillion hatte jenen schrecklichen Ort besucht, und der Erinnerung haftete noch immer ein schwacher Nachhall von Beunruhigung an – sie vermutete, dass mehr hinter jener Begegnung steckte, aber nicht alles, was in Cotillions Leben geschehen war, war ihrem Gedächtnis zugänglich.
Sie fragte sich, wer wohl dafür verantwortlich war, dass alle diese Wesen angekettet worden waren. Welches unbekannte Wesen besaß solch große Macht, dass sie drei Drachen überwältigen konnte? So viel in der Schattensphäre entzog sich ihrem Begreifen. Und dem Cotillions vermutlich ebenfalls.
Rinnsel und Telorast sprachen die Sprache der Tiste Andii. Doch sie hatten verraten, dass sie erstaunlich viel über die Sphäre der Drachen wussten – über Starvald Demelain. Sie waren der Herrin der Diebe begegnet, die schon vor langer Zeit aus dem Pantheon verschwunden war, obwohl sie – wenn die Legenden Darujhistans auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielten – vor weniger als einhundert Jahren für kurze Zeit wieder aufgetaucht war, nur um ein zweites Mal zu verschwinden.
Sie hat versucht, den Mond zu stehlen. Das war eine der ersten Geschichten gewesen, die Crokus ihr erzählt hatte, kurz nachdem Cotillion so plötzlich aus ihrem Geist verschwunden war. Vielleicht eine Geschichte mit ein paar Anspielungen auf die Örtlichkeit, um den Kult in der Gegend zu stärken. Sie musste zugeben, dass sie etwas neugierig war. Immerhin war die Göttin ihre Namensschwester. Eine Imass? Es gibt keine bildliche Darstellung der Herrin – was an sich ziemlich merkwürdig ist … möglicherweise ein Verbot, das die Tempel durchgesetzt haben. Was waren noch mal ihre Symbole? Oh, ja. Fußstapfen. Und ein Schleier. Sie beschloss, die Geister darüber genauer auszufragen.
Jedenfalls war sie sich ziemlich sicher, dass Cotillion nicht begeistert darüber sein würde, dass sie diese Geister befreit hatte. Schattenthron würde toben. All diese Dinge hatten vielleicht zu ihrer Entscheidung beigetragen. Ich war einst besessen, aber ich bin es nicht mehr. Ich diene ihnen immer noch, aber so, wie es mir gefällt, nicht ihnen.
Wagemutige Behauptungen, aber sie waren alles, woran sie sich noch festhalten konnte. Ein Gott benutzt – und wirft weg. Das Werkzeug wird zurückgelassen, vergessen. Sicher, es schien, als wäre Cotillion in dieser Angelegenheit nicht so gleichgültig wie die meisten Götter, aber inwieweit konnte sie diesem Anschein trauen?
Im Mondlicht fand Apsalar den geheimen Pfad, der sich durch die Ruinen wand. Geräuschlos und jeden verfügbaren Schatten nutzend bewegte sie sich immer tiefer ins Herz von Jen’rahb. Schluss mit den wandernden Gedanken. Sie musste sich konzentrieren, sonst würde sie in dieser Nacht zum Opfer werden.
Auf Verrat musste reagiert werden. Diese Aufgabe kam mehr von Schattenthron als von Cotillion, so ähnlich hatte der Schutzpatron der Assassinen es jedenfalls erklärt. Eine alte Rechnung, die noch offen war. Die Intrigen waren auch so schon überaus vielschichtig und verworren, und es schien alles sogar noch schlimmer zu werden – zumindest könnte man Schattenthrons kürzliche Aufregung als einen entsprechenden Hinweis verstehen. Etwas von dem Unbehagen hatte auf Cotillion abgefärbt. Es hatte Getuschel über eine weitere Konvergenz der Kräfte gegeben. Gewaltiger als je zuvor, und irgendwie stand Schattenthron im Zentrum des Geschehens. Im Zentrum von allem.
Die versunkene Tempelkuppel kam in Sicht, das einzige fast vollständig erhaltene Gebäude so weit im Innern von Jen’rahb. Apsalar kauerte sich hinter einen mächtigen Steinblock, dessen Oberfläche mit geheimnisvollen Schriftzeichen übersät war, lehnte sich zurück und musterte das Gelände vor dem Tempel. Es war von allen Seiten gut einzusehen. Falls Wachen aufgestellt worden waren, um den verborgenen Eingang zu bewachen, würde das Ganze eine echte Herausforderung werden. Und sie musste davon ausgehen, dass
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