SdG 11 - Die Kochenjäger
verlor die Schöpferkraft der Hände, die ihn gewoben hatten, langsam einen von niemandem gesehenen Krieg gegen trippelnde Käferlarven, Tarynwürmer und Aschemotten. Dennoch verbarg die Dunkelheit, in der er verlassen dahindämmerte, da und dort Farben, die auch jetzt noch kraftvoll leuchteten, und es waren noch immer genügend erzählerische Elemente der ursprünglich dargestellten Szene übrig, dass deren Bedeutung noch zu erkennen war. Gut möglich, dass der Wandteppich weitere fünfzig Jahre überlebte, ehe er sich schließlich den Auswirkungen der Vernachlässigung geschlagen geben würde.
Der Welt war es vollkommen gleichgültig, wie Ahlrada Ahn sehr wohl wusste, dass manche Dinge unbedingt erhalten werden mussten – geschichtliche Ereignisse, Geschichten, die mit unzähligen Schichten von Sinn und Bedeutung beladen waren. Sie kümmerte sich nicht um das, was vergessen war, um Erinnerungen, und Wissen hatte noch nie die endlose Wiederholung vorsätzlicher Dummheit aufhalten können, die Völkern und Zivilisationen so viele Schranken auferlegte.
Der Teppich hatte einst eine ganze Wand bedeckt – die rechte, wenn man den Obsidianthron ansah, von dem aus der Hochkönig von Blaurose, der Oberste Diener des Schwarzen Geflügelten Lords, vor der Annexion geherrscht hatte … und neben seinem Podest der Rat der Onyx-Magier, alle in ihre wunderbaren Umhänge aus geschmeidigem, flüssigem Stein gehüllt – aber nein, es war der Wandteppich, der Ahlrada Ahn nicht mehr aus dem Kopf ging.
Die Geschichte begann an dem Ende, das am weitesten vom Thron entfernt war. Drei Gestalten vor einem mitternachtsschwarzen Hintergrund. Drei Brüder, in reiner Dunkelheit geboren und von ihrer Mutter aufs Höchste geschätzt. Und nun alle ausgestoßen, obwohl das jedem von ihnen zu einem anderen Zeitpunkt widerfahren war. Andarist, den sie als den ersten Verräter angesehen hatte, eine Anklage, von der alle wussten, dass sie falsch war, aber der Knoten aus Unwahrheiten hatte sich eng um ihn geschlossen, und niemand außer Andarist selbst hätte ihn lösen können – und das konnte oder wollte er nicht tun. Er hatte seine Verbannung hingenommen, von unerträglichem Kummer erfüllt, und seine letzten Worte waren folgende gewesen: Ob willkommen oder nicht, er würde auch weiterhin Mutter Dunkel als Wächter dienen, in seiner Abgeschiedenheit, und daran sollte sein Leben gemessen werden. Doch selbst hinsichtlich dieses Versprechens hatte sie sich abgewandt. Seine Brüder konnten gar nicht anders als darin ein Verbrechen zu sehen, und es war Anomandaris Purake, der Mutter Dunkel als Erster entgegentrat. Welche Worte zwischen ihnen gewechselt wurden, wissen nur sie selbst, obwohl die grässlichen Folgen für alle zu sehen waren – Anomander wandte sich von ihr ab. Er ging davon, verleugnete die Dunkelheit in seinem Blut und spürte an ihrer statt das Chaos auf, das immer in seinen Adern kämpfte. Silchas Ruin, der rätselhafteste der drei Brüder, hatte wie ein von Unschlüssigkeit zerrissener Mann gewirkt, gefangen in unmöglichen Versuchen zu besänftigen, zu versöhnen, bis er schließlich jede Zurückhaltung aufgab und das größte Verbrechen von allen beging. Ein Bündnis mit Schatten. Gerade, als ein Krieg unter den Tiste ausbrach – ein Krieg, der bis zum heutigen Tage ungehemmt weitergeht.
Es hatte Siege gegeben, Niederlagen, gewaltige Gemetzel – und dann, in einer letzten verzweifelten Geste, hatten Silchas Ruin und seine Gefolgsleute sich auf ihrer Flucht durch die Tore mit den Legionen des Schattens und ihrem grausamen Befehlshaber Scabandari – der später als Blutauge bekannt werden würde – vereinigt. Und sie sind auf diese Welt geflohen. Aber diese drei Brüder wurden unaufhörlich von Verrat verfolgt. Und so war im Augenblick des größten Sieges gegen die K’Chain Che’Malle Silchas Ruin durch Scabandaris Messer gefallen, und seine Gefolgsleute waren ihrerseits unter den Schwertern der Tiste Edur gefallen.
Das war die zweite Szene auf dem Wandteppich. Der Verrat, das Gemetzel. Aber jenes Gemetzel war nicht so gründlich gewesen, wie die Edur geglaubt hatten. Es hatten Tiste Andii überlebt – die Verwundeten, die Nachzügler, die Alten und die Mütter und die Kinder, die weit hinter dem Schlachtfeld zurückgelassen worden waren. Sie waren Zeugen geworden. Und geflohen.
Die dritte Szene stellte ihre schlimme Flucht dar, die verzweifelte Verteidigung gegen ihre Verfolger durch vier kaum erwachsene Zauberer
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