SdG 11 - Die Kochenjäger
als seien jetzt auch die Legenden gestohlen und auf eine Weise verändert worden, die sich jeglicher Kontrolle entzog. Aber Coltaine gehört zu uns. Wie könnt ihr es wagen, so etwas zu tun? Solche Gefühle, die dem dunklen Knoten in seiner Seele entsprangen, waren sinnlos. Sogar sie auszusprechen, fühlte sich ungeschickt an, absurd. Die Toten werden immer umgestaltet, denn sie können sich gegen jene, die sie gebrauchen oder missbrauchen, indem sie beeinflussen, wer sie waren und was ihre Taten bedeutet haben, nicht verteidigen. Und darin bestand der eigentliche Schmerz … in dieser … Ungerechtigkeit.
Diese neuen Kulte mit ihren grässlichen Ikonen, sie taten nichts, um die Kette der Hunde zu ehren. Sie hatten nie die Absicht gehabt. Stattdessen erschienen sie Keneb wie ein armseliger Versuch, gewaltsam eine Verbindung zu vergangener Größe herzustellen, zu einer Zeit und einem Ort von folgenschwerer Bedeutung. Er hatte keinen Zweifel daran, dass die Letzte Belagerung von Y’Ghatan schon bald einen ähnlichen mythischen Status erlangen würde, und er hasste den Gedanken, wollte so weit wie nur irgend möglich weg von dem Land, das solche Blasphemien gebar und hegte.
»Das ist eine ziemlich hässliche Stelle, um mit einer Flotte vor Anker zu gehen, Mandata«, meldete sich nun Blistig zu Wort. »Vielleicht könnten wir noch ein paar Längen – «
»Nein«, sagte sie.
Blistig warf Keneb einen Blick zu.
»Das Wetter wird sich ändern«, sagte Nil.
Ein Kind mit Falten im Gesicht. Dies ist das wahre Erbe der Kette der Hunde. Falten in seinem Gesicht und blutbefleckte Hände.
Und Temul, der junge Wickaner, der aufgebrachte, verbitterte Alte befehligte, die immer noch von Rache an denjenigen träumten, die Coltaine abgeschlachtet hatten. Er ritt Duikers Pferd, eine magere Stute mit Augen, in denen Kummer stand, wie Keneb hätte schwören können. Temul trug Schriftrollen, vermutlich die Aufzeichnungen des Historikers, obwohl er sie niemandem zeigte. Dieser noch immer junge Krieger trug die Last der Erinnerungen, die letzten Monate des Lebens eines alten Mannes, der einst zur Alten Garde gehört hatte und der irgendwie auf unerklärliche Weise diesen jungen Wickaner berührt hatte. Das allein, vermutete Keneb, war eine Geschichte, die es wert gewesen wäre, erzählt zu werden, aber sie würde für immer unerzählt bleiben, denn nur Temul verstand sie, verfügte über sämtliche Einzelheiten, und Temul war keiner, der erklärte, keiner, der Geschichten erzählte. Nein, er lebt sie einfach. Und genau das ist das, wonach die Kultisten sich sehnen, was sie selbst gerne hätten, und was sie niemals wirklich besitzen werden.
Keneb konnte nichts von dem großen Lager hinter ihm hören. Doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu einem ganz besonderen Zelt innerhalb dieser behelfsmäßigen Stadt zurück. Der Mann in seinem Innern hatte seit Tagen nicht mehr gesprochen. Sein eines Auge schien ins Leere zu starren. Was von Tene Baralta noch übrig war, war geheilt worden, zumindest was Fleisch und Knochen anging. Der Geist des Mannes war leider eine andere Sache. Sein Heimatland war nicht nett zum Anführer der Roten Klingen gewesen. Keneb fragte sich, ob Baralta genauso wild darauf war, das Reich der Sieben Städte zu verlassen, wie er.
»Die Pest wird bösartiger«, sagte Neder. »Die Graue Göttin jagt uns.«
Bei diesen Worten wandte die Mandata den Kopf.
Blistig fluchte. »Seit wann ist Poliel wild darauf, sich an die Seite von ein paar verdammten Rebellen zu gesellen?«, fragte er. »Immerhin hat sie doch sowieso schon die meisten von ihnen getötet, oder?«
»Ich verstehe dieses Bedürfnis nicht«, erwiderte Neder kopfschüttelnd, »aber es scheint, als hätte sie ihren tödlichen Blick auf die Malazaner gerichtet. Sie jagt uns, und sie kommt immer näher.«
Keneb schloss die Augen. Sind wir denn noch nicht schlimm genug zugerichtet worden?
Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung stießen sie auf das tote Pferd. Inmitten der Kapmottenschwärme, die sich an dem Kadaver gütlich taten, tummelten sich zwei Echsenskelette; sie standen auf den Hinterbeinen, und ihre Köpfe zuckten und ruckten hierhin und dahin, während sie die vogelgroßen Insekten zermalmten und fraßen.
»Beim Atem des Vermummten«, murmelte Lostara, »was sind denn das für Dinger?«
»Das sind Telorast und Rinnsel«, antwortete Apsalar. »Geister, die an die kleinen Skelette gebunden sind. Sie sind jetzt schon einige Zeit meine
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