SdG 12 - Der Goldene Herrscher
eines Gottes ist niemals umsonst. Mehr noch, wenn er es für angebracht hält, wird er seinen Anhängern nichts erzählen. Oder er wird lügen. Die Edur verstehen nichts von alledem, aber Ihr überrascht mich. Ist es nicht die Natur Eures Gottes, dieses Abtrünnigen, Euch auf Schritt und Tritt etwas vorzumachen?«
»Der Imperator ist nicht tot, Taralack Veed.«
»Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit.«
»Das behauptest du andauernd.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich spreche jetzt nicht von Icarium. Ich spreche davon, was geschieht, wenn der Auserwählte eines Gottes versagt. Und sie versagen immer, Zwielicht. In den Augen der Götter ist das, was wir tun, nie genug. Wir sind nicht so gläubig, wie wir es sein sollten, nicht so ängstlich, nicht so kriecherisch. Früher oder später verraten wir sie, aus Schwäche oder übersteigertem Ehrgeiz. Wir sehen eine Stadt der Brücken vor uns, doch was ich sehe, und was Ihr seht, sind zwei verschiedene Dinge. Lasst Euch nicht von Euren Augen täuschen - die Brücken, die uns erwarten, sind viel zu schmal für Sterbliche.«
Ihr Schiff bewegte sich langsam wie ein erschöpftes Lasttier auf das mittlere imperiale Dock zu, und jetzt waren eine Handvoll Edur-Offiziere an Deck getreten, während Matrosen an der Backbordreling standen und die Leinen bereithielten. Der Gestank nach Abwässern, der von dem schlammigen Wasser ausging, war so stark, dass er Tränen in die Augen trieb.
Taralack Veed spuckte sich in die Hände und strich sich noch einmal die Haare zurück. »Es ist fast soweit. Ich gehe und hole meinen Meisterkämpfer.«
Von niemandem bemerkt, stand Turudal Brizad, der Abtrünnige, rücklings an einem Hafenspeicher lehnend etwa dreißig Schritt vom Hauptpier entfernt. Er musterte den von Bord gehenden Tomad Sengar. Der ehrwürdige Krieger wirkte erschöpft und gealtert, und als er bemerkte, dass sich kein einziger Edur bei der Delegation vom Palast befand, schien seine Miene mit jedem Augenblick düsterer zu werden. Aber weder an ihm noch an einem der anderen Edur blieb der Blick des Gottes längere Zeit hängen. Brizads Aufmerksamkeit wurde erneut geweckt, als die Atri-Preda, die die letheriischen Seesoldaten an Bord dieser Flotte befehligte, gefolgt von einem halben Dutzend Adjutanten und Offizieren das Fallreep herunterschritt. Denn er spürte sofort, das diese Frau etwas Schicksalhaftes umgab. Aber er konnte keine Einzelheiten ausmachen.
Verärgert über sein nachlassendes Wahrnehmungsvermögen runzelte der Gott die Stirn. Eigentlich hätte er auf der Stelle spüren müssen, was Yan Tovis erwartete. Vor fünf Jahren wäre das auch der Fall gewesen, und er hätte keinen Gedanken an diese Gabe verschwendet, diese schiere Bevorzugung, die mit der Macht eines Aufgestiegenen einherging. Seit den letzten turbulenten Tagen des Ersten Imperiums - jener Abfolge grässlicher Ereignisse, die schließlich die T’lan Imass dazu veranlasst hatten, die Todeszuckungen von Dessimbelackis’ Imperium zu ersticken - hatte der Abtrünnige sich nicht mehr so von allem abgetrennt gefühlt. Das Chaos rollte einer alles umwälzenden, gewaltigen Woge gleich auf Letheras zu, eine ozeanische Welle, die die Strömungen dieses Flusses einfach verschlingen würde - ja, es kommt vom Meer. So viel weiß ich, so viel kann ich spüren. Vom Meer, genau wie diese Frau, diese Zwielicht.
Eine weitere Gestalt erschien auf der Planke. Ein Fremder, dessen Unterarme mit einem wirren Muster geheimnisvoller Tätowierungen bedeckt waren, während sein restlicher Oberkörper in einen grob gewebten Umhang gehüllt war und eine Kapuze seine Gesichtszüge verbarg. Barbarisch, wachsam, mit glänzenden Augen, die alles in sich aufsogen, machte er auf halbem Weg auf dem Fallreep kurz Halt, um sich zu räuspern und zur Seite hin auszuspucken, eine Geste, die den Abtrünnigen - und, wie es schien, auch die meisten von denen, die auf dem Dock standen - erschreckte.
Einen Augenblick später kam ein weiterer Fremder in Sicht, der am oberen Ende des Fallreeps stehenblieb. Dem Abtrünnigen verschlug es den Atem, und es fröstelte ihn, als wäre der Vermummte höchstpersönlich angekommen und sein kalter Atem striche ihm über den Nacken.
Hol mich der Abgrund, was wartet da alles in seinem Innern. Die Glut, die niemand anders hier sehen kann, deren Vorhandensein niemand auch nur vermuten kann. Teurer Sohn von Gothos und dieser übergroßen Hexe, der Makel des Azath-Blutes schwebt wie eine Wolke über dir.
Weitere Kostenlose Bücher