SdG 12 - Der Goldene Herrscher
die sich nun an der Spitze der letheriischen Gesellschaft aufplusterten wie grau gefiederte Dohlen über einem Haufen Tand.
Früher hätte eine solche Erkenntnis bei Rautos Hivanar eine sofortige, eifrige Reaktion hervorgerufen. Die Bedrohung allein hätte ausreichen müssen, eine mit Nachdruck betriebene Jagd in Gang zu setzen, und die Vorstellung, dass hier eine treibende Kraft mit dermaßen entsetzlichen Absichten am Werk war - und zwar eine, die von einem höchst subtilen Genius gelenkt wurde, wie er sich gezwungenermaßen eingestehen musste - hätte das Spiel ankurbeln müssen, bis er es mit wahrer Besessenheit weiterverfolgt hätte.
Stattdessen stellte Rautos Hinavar fest, dass er in den verstaubten Hauptbüchern nach Hinweisen auf frühere Überschwemmungen suchte und damit einem insgesamt weitaus nüchterneren Geheimnis nachjagte, das kaum mehr als eine Handvoll vor sich hinmurmelnder Gelehrter interessieren dürfte. Und das war, wie er sich selbst häufig eingestand, sonderbar. Nichtsdestotrotz nahm der Druck zu, und nachts lag er immer öfter neben der reglosen, schweißüberströmten Masse, die seit dreiunddreißig Jahren seine Frau war, und stellte fest, dass seine Gedanken unablässig rasten, gegen den zyklischen Strom der Zeit ankämpften und mit all seinem Feingefühl versuchten, in vergangene Zeitalter zurückzukriechen. Auf der Suche. Auf der Suche … nach etwas …
Seufzend stellte Rautos die leere Tasse ab und stand auf.
Als er zur Tür schritt, trat Venitt Sathad - dessen Familie nun seit sechs Generationen Schuldner der Hivanars war - vor und nahm die zerbrechliche Tasse an sich, ehe er seinem Herrn folgte.
Hinaus und hinüber zu der zum Fluss hin gelegenen Einfriedung, über das Mosaik hinweg, auf dem die drei Jahrhunderte zurückliegende Amtseinsetzung von Skoval Hivanar als Imperialer Ceda dargestellt war, dann die flachen Stufen hinunter zu dem Teil des Anwesens, der in trockeneren Zeiten als untere Gartenterrasse diente. Aber der Fluss war über das Gelände hinweggeströmt, hatte Mutterboden und Pflanzen mitgerissen und eine höchst eigentümliche Anordnung von Felsblöcken zu Tage gebracht, die wie eine gepflasterte Straße angeordnet waren; sie wurden von einem Rechteck aus hölzernen Pfosten eingerahmt, wobei diese Pfosten mittlerweile kaum mehr als verfaulte Stümpfe waren, die aus den Teichen ragten, die die Flut zurückgelassen hatte.
Am Rande der oberen Terrasse hatten Arbeiter gemäß Rautos’ Anweisungen hölzerne Stützwände angebracht, um sie am Einstürzen zu hindern, und an einer Seite stand eine Schubkarre mit einer Menge merkwürdiger Gegenstände, die die Flut freigelegt hatte. Diese Dinge waren auf dem gepflasterten Fußboden verstreut gewesen.
Alles in allem ein Geheimnis, dachte Rautos. Es gab keinen wie auch immer gearteten Bericht darüber, dass die untere Gartenterrasse jemals irgendetwas anderes gewesen war als das, was sie war, und die Aufzeichnungen des Mannes, der den Garten angelegt hatte - aus einer Zeit kurz nach Fertigstellung der Hauptgebäude des Anwesens -, besagten, dass das Ufer auf jener Höhe nichts weiter war als bei Überflutungen angeschwemmter Schlamm.
Der Lehm hatte das Holz geschützt, zumindest bis vor kurzem, von daher konnte man nicht sagen, wie lange es her war, dass die merkwürdige Konstruktion erbaut worden war. Den einzigen Hinweis darauf, wie alt sie tatsächlich war, gaben die Gegenstände, die sämtlich aus Bronze oder Kupfer bestanden. Keine Waffen, wie man sie in einem Grabhügel finden mochte, und wenn es Werkzeuge waren, dann für etwas, das lang vergessen war, da keiner der Arbeiter, die Rautos hierhergebracht hatte, in der Lage gewesen war, auch nur bei einem einzigen Gegenstand zu ergründen, wozu er gedacht sein mochte. Sie ähnelten keinem bekannten Werkzeug, weder zur Stein- noch zur Holzbearbeitung oder zur Verarbeitung von Nahrungsmitteln.
Rautos nahm einen Gegenstand und untersuchte ihn zum bestimmt hundertsten Mal. Er war aus Bronze und in einer Tonform hergestellt - der Flansch war deutlich zu erkennen - und dabei länglich und rundlich, doch beinahe rechtwinklig gewinkelt. Am Kniestück bildeten kreuz und quer verlaufende Kerben ein Muster. Keines der beiden Enden wies irgendein Anzeichen auf, dass man irgendetwas daran hätte befestigen können - was bedeutete, dass das Ding nicht als Teil eines größeren Mechanismus gedacht gewesen war. Er wog es in der Hand - sein Gewicht war nicht unbeträchtlich. Es
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