SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Entfremdung entstanden, waren nicht lebensbedrohlich. Ein anderes Dorf, eine andere Stadt - die Mühe, von neuem zu beginnen, war zu bewältigen, und tatsächlich wurde neu zu beginnen für manche sogar zur Sucht. Zu einer Möglichkeit, sich jeder Verantwortung zu entheben.
Rotmaske, dessen Leben das der Ahl war - ein seit Generationen unbeflecktes Leben -, war zu der Überzeugung gelangt, dass die Natur der Letherii - der ihm am meisten verhassten Feinde - nichtsdestotrotz seinen Geist befleckt hatte. Die Verbannung hatte sich nicht als Todesstrafe erwiesen. Die Verbannung hatte sich im Gegenteil als Geschenk erwiesen, denn durch sie hatte er die Freiheit entdeckt. Jene Verlockung, die so viele junge Krieger ins letheriische Imperium zog, wo namenlos und unbekannt zu sein sich ebenso als Fluch wie als Befreiung erwies.
Als von zu Hause Vertriebener war er weit gewandert, ohne einen Gedanken daran, jemals zurückzukehren. Er war nicht mehr der, der er einst gewesen war, nicht mehr der Sohn seines Vaters, doch was er statt dessen geworden war, blieb sogar für ihn selbst ein Geheimnis.
Am Himmel über ihm stand keine einzige Wolke, die Hitze der neuen Jahreszeit entfaltete sich, und vor ihm rasten Hasen von einem Gebüsch, das ihnen kurzfristig Deckung gewährte, zum nächsten, während er auf einem letheriischen Pferd einer Herde folgte, die die Nordostroute entlangzog. Einer kleinen Herde, wie er bemerkt hatte, denn es fanden sich nur wenige Geburtsflecken an den Rändern des Pfades - jene Stellen, an denen sich die Rodaramännchen schützend versammelten, bis ein Neugeborenes in der Lage war, sicher auf eigenen Beinen zu stehen. Der Clan, der diese Tiere führte, war vermutlich klein.
Rotmaskes K’Chain-Che’Malle-Leibwächter waren nirgends zu sehen, aber das war nicht ungewöhnlich. Die großen Reptilien hatten einen ungeheuren Appetit. Um diese Jahreszeit wagten sich die wilden Bhederin, die in kleinen Wäldchen überwintert hatten - eine einzelgängerischere, größere Art als ihre Artgenossen auf den Ebenen im Süden -, auf der Suche nach Gefährten aus ihrer Deckung. Die Bullen - die so viel wogen wie zwei letheriische Ochsen - waren wild und angriffslustig und pflegten auf alles loszugehen, das ihnen zu nahe kam - ausgenommen ein Weibchen ihrer eigenen Art. Sag’Churok, das K’ell-Jäger-Männchen, hatte Gefallen daran gefunden, sich dem stürmischen Angriff entgegenzustellen; Rotmaske hatte seine Freude gesehen - an den langsamen, peitschenden Bewegungen seines Schwanzes leicht zu erkennen -, wenn er sich einem Bullen in den Weg gestellt hatte, die stählernen Klingen hoch erhoben. Und so schnell der Bhederin auch war, der K’Chain Che’Malle war schneller. Und jedes Mal, wenn er das Tier getötet hatte, überließ er den Kadaver Gunth Mach, bis sie sich vollgefressen hatte.
Rotmaske ritt den ganzen Tag lang weiter, in gemächlichem Tempo, um es dem Pferd leichter zu machen, und als die Sonne dem Horizont entgegensank und ferne Sturmwolken erglühen ließ, gelangte er in Sichtweite des Ahl-Lagers, das sich auf einer ehemaligen Altwasserinsel zwischen zwei ausgetrockneten, ausgewaschenen Flussbetten befand. Die Herden standen beiderseits auf den Talflanken, und die kuppeiförmigen, aus zusammengenähten Häuten bestehenden Hütten kauerten sich unter dem Rauch der Kochfeuer zusammen, der das Tal wie ein Schleier bedeckte.
Keine Vorreiter. Keine Wachtposten. Und ein im Verhältnis zur Herde viel zu großes Lager.
Rotmaske zügelte sein Pferd auf dem Grat. Er betrachtete die Szenerie, die sich vor ihm ausbreitete. Hier und da waren rituelle Trauergesänge zu hören. Einige wenige Kinder bewegten sich zwischen den Hütten.
Nachdem er einige Zeit lang reglos im hohen letheriischen Sattel gesessen hatte, entdeckte ihn jemand. Schreie, eilige Bewegungen in den länger werdenden Schatten, dann verließen ein halbes Dutzend Krieger das Dorf und kamen langsam auf ihn zu.
Hinter ihnen wurde bereits in panischer Hast damit begonnen, das Lager abzubrechen. Funken stoben durch die Luft, als Feuerstellen ausgetreten wurden. Die Häute der Hüttenwände bewegten sich.
Hirten- und Zughunde tauchten auf, rasten heran, um sich zu den langsam heranstapfenden Kriegern zu gesellen.
Die Afil-Krieger waren jung, wie er sah, als sie noch näher herankamen. Sie hatten ihre Todesnacht gerade mal ein, zwei Jahre hinter sich. Kein einziger erfahrener Krieger befand sich unter ihnen. Wo waren die Ältesten? Die
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