SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Schultermänner?
Fünfzehn Schritt unterhalb des Grats machten die Krieger halt und begannen sich zischend und murmelnd zu unterhalten. Dann drehte sich einer zum Lager um und stieß einen durchdringenden Schrei aus. Jegliche Betriebsamkeit erstarb.
Gesichter starrten zu Rotmaske herauf. Kein einziger der Krieger schien verwegen genug, um noch näherzukommen.
Die Hunde ließen sich von dem einsamen Krieger weit weniger einschüchtern. Knurrend und mit gesträubten Nackenhaaren schlichen sie in einem Halbkreis auf ihn zu. Doch dann bekamen sie einen unerwarteten Geruch in die Nase und wichen schlagartig jaulend und mit gesenkten Schwänzen zurück.
Schließlich trat einer der jungen Krieger einen Schritt vor. »Du kannst es nicht sein«, sagte er.
Rotmaske seufzte. »Wo ist euer Kriegsführer?«, wollte er wissen.
Der junge Krieger holte tief Luft und reckte sich. »Ich bin der Kriegsführer dieses Clans. Ich, Masarch, der Sohn von Naryud.«
»Wann war deine Todesnacht?«
»Das sind die alten Sitten«, sagte Masarch und fletschte die Zähne. »Diese Dummheiten haben wir aufgegeben.«
Einer der Jugendlichen hinter dem Kriegsführer meldete sich zu Wort. »Die alten Sitten haben uns im Stich gelassen! Wir haben sie verstoßen.«
»Nimm die Maske ab«, sagte Masarch. »Die gehört dir nicht. Du versuchst, uns zu täuschen. Du reitest ein Pferd der Letherii - du bist einer der Spione des Repräsentanten.«
Rotmaske antwortete nicht sofort. Er wandte den Blick vom Kriegsführer und seinen Gefolgsleuten ab, richtete ihn erneut auf das Lager dort unten. An seinem diesseitigen Rand sammelte sich eine Menge Schaulustiger. Er schwieg weitere zwanzig Herzschläge lang, und sagte dann: »Ihr habt keine Vorposten aufgestellt. Eine Truppe von Letherii könnte sich auf diesem Grat versammeln und mitten in euer Lager preschen, und ihr wärt nicht vorbereitet. Eure Frauen schreien ihre Verzweiflung heraus, und in einer ruhigen Nacht wie dieser kann man ihr Geschrei meilenweit hören. Deine Leute hungern, Kriegsführer, doch sie entzünden ein Übermaß an Feuern - so viele, dass sich über eurem Lager eine Wolke aus Rauch bildet, die sich nicht von der Stelle bewegen wird und in der sich das Licht der Lagerfeuer spiegelt. Ihr habt die neugeborenen Rodaras und Myrids geschlachtet statt der in die Jahre gekommenen Männchen und der Weibchen, die keine Jungen mehr werfen können. Ihr könnt keine Schultermänner haben, denn wenn ihr welche hättet, würden sie euch unter der Erde begraben und euch die Todesnacht aufzwingen, so dass ihr wieder hervorkommen könnt - neu geboren und hoffentlich mit neuem Wissen beschenkt. Wissen, das euch offensichtlich fehlt.«
Masarch ging nicht auf seine Worte ein. Er hatte inzwischen Rotmaskes Waffen gesehen. »Du bist es doch«, flüsterte er. »Du bist zu den Ahrdan zurückgekehrt.«
»Was ist dies für ein Clan?«
»Rotmaske«, sagte der Kriegsfuhrer und deutete hinter sich, »dieser Clan … er ist dein …«
Als der einsame, immer noch im Sattel sitzende Krieger nicht antwortete, fügte Masarch hinzu: »Wir - wir sind alle, die noch übrig sind. Es gibt keine Schultermänner, Rotmaske. Und auch keine Hexen.« Er deutete auf die Herden an den Talflanken. »Die Tiere, die du hier siehst, sind alles, was noch übrig ist.« Er zögerte, straffte sich dann erneut. »Rotmaske, du bist… vergebens zurückgekehrt. Du sprichst nicht, und das sagt mir, dass du die Wahrheit erkennst. Großer Krieger, du kommst zu spät.«
Doch auch auf diese Worte hin schwieg Rotmaske. Er stieg langsam ab. Die Hunde, die ihn die ganze Zeit furchtsam geduckt mit hängenden Schwänzen umkreist hatten, fingen entweder einen anderen Geruch auf, oder sie hörten etwas in der Düsternis jenseits des Grats, denn sie drehten sich plötzlich um und schossen den Hang hinunter, verschwanden dann im Lager. Die Panik schien sich auch auf die Krieger zu übertragen, die vor ihm standen, aber keiner von ihnen floh, trotz der Angst und Verwirrung, die sich deutlich auf ihren Gesichtern abzeichnete.
Masarch leckte sich die Lippen. »Rotmaske«, sagte er, »die Letherii vernichten uns. Vorreiterlager wurden überfallen, unsere Leute niedergemacht, die Herden gestohlen. Den Aendinar-Clan gibt es nicht mehr. Die überlebenden Sevond und Niritha sind zu den Ganetok gekrochen - nur der Ganetok-Clan ist noch stark, denn sie leben am weitesten im Osten … und als die Feiglinge, die sie sind, haben sie ein Bündnis mit Fremden
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