SdG 12 - Der Goldene Herrscher
das nicht…«
»Es ist ganz einfach«, sagte sie. »Sie wollten Informationen.«
»Was für Informationen?«
Shurq Elalle schaute sich um. »Sie haben das Logbuch und die Karten mitgenommen. Nun, Piraten würden das vielleicht tun, wenn ihnen Lether fremd wäre, aber dann hätten sie keinen Grund, diesen armen Kerl zu foltern. Außerdem hätten sie die Ladung mitgenommen. Nein, wer auch immer das hier getan hat, wollte mehr Informationen - und zwar Informationen, die man nicht aus Karten bekommt. Und die Ladung war ihnen scheißegal.«
»Widerliche Dreckskerle - wer auch immer sie waren.«
Sie dachte an die Amphore und ihren grässlichen Inhalt. Und wandte sich dann ab. »Vielleicht hatten sie einen guten Grund für all das. Schlagt Löcher in den Rumpf, Skorgen. Allerdings werden wir in der Nähe bleiben und warten. Schwarzholz geht nicht gerne unter. Möglicherweise müssen wir das Ding verbrennen.«
»Ein Scheiterhaufen, mit dem wir sie womöglich alle anlocken, Kapitän.«
»Ich bin mir über das Risiko im Klaren. Fangt an.« Wieder auf Deck, begab Shurq Ellale sich zum Vorderdeck, wo sie sich hinstellte und den Horizont musterte, während Skorgen und die Mannschaft damit begannen, Löcher in den Rumpf des halbwracken Schiffs zu schlagen.
Fremde aufdem Meer.
Fremde, die keine Freunde der Tiste Edur sind. Trotzdem würde ich ihnen lieber nicht begegnen. Sie drehte sich um und blickte zum Mitteldeck. »Skorgen! Wenn wir hier fertig sind, nehmen wir die Ruder. Zurück zur Küste.«
Er zog die vernarbten Augenbrauen hoch. »Nach Letheras?«
»Warum nicht? Wir können alles verkaufen und mehr Leute anheuern.« Der schwer gezeichnete Mann grinste. Ja, zurück nach Letheras. Und zwar schnell.
Kapitel Vier
Die Meuterei fand an jenem verhängnisvollen Morgen statt, als wir im ersten Licht der Dämmerung durch den dichten Nebel, der uns zehn Tage lang heimgesucht hatte, nach Osten blickten und dort am von Wolken begrenzten Horizont Drachen aufsteigen sahen - unzählige, gewaltige Drachen. Sie waren zu gewaltig, um es begreifen zu können - mit ihren Köpfen oberhalb der Sonne, während ihre zusammengefalteten Flügel so weit herunterreichten, dass der Schatten, den sie warfen, ganz Drene hätte verschlingen können. Das war zu viel, zu furchterregend selbst für die erfahreneren Soldaten in unserer Truppe, denn die dunklen Augen der Drachen richteten sich auf uns, und ihr fremdartiger Blick raubte unseren Herzen das Blut und unseren Schwerten und Speeren die stählernen Klingen und Spitzen.
In diese Schatten hineinzumarschieren hätte selbst einen Meisterkämpfer des Ersten Imperiums erzittern lassen. Wir hatten solch einer Herausforderung nichts entgegenzusetzen, und obwohl ich meiner Wut und meinem Abscheu lautstark Ausdruck verlieh, war das doch nur das Verhalten, das vom Anführer einer Expedition an den Tag gelegt werden musste, und in der Tat hatte ich nicht die Absicht, von meinen Kameraden den Mut einzufordern, an dem es mir selbst mangelte. Aber ein solches Verhalten ist nicht ganz ungefährlich, denn manchmal hat man damit Erfolg, auch wenn man es eigentlich gar nicht will. Und daher ließ ich von meinem Ärger ab, vielleicht zu rasch, aber niemand erstattete deswegen Bericht, so erleichtert, wie sie alle waren, als wir das Lager abbrachen, unsere Maultiere beluden und uns nach Westen aufmachten.
Vier Tagesmärsche in die Wildlande
Thrydis Addanict
Eine Verbannung tötete die meisten Opfer, wenn die Welt da draußen rau war, wenn das Überleben nicht ohne die Münze der Zusammenarbeit erkauft werden konnte. Unter den Stammesvölkern - ob Ahl, D’rhasilhani oder Keryn - gab es keine härtere Strafe. Dabei war es die Clan-Struktur selbst, die einem die tödliche Unnachgiebigkeit auferlegte, begleitet von der dazugehörigen Verwüstung, wenn man ausgestoßen wurde, allein und all dessen beraubt war, was dem Leben Sinn verlieh. Die Opfer brachen innerlich zusammen, gaben all die Fähigkeiten preis, die dazu dienen konnten, sie am Leben zu erhalten; sie welkten dahin - und starben.
Für die Letherii mit ihren riesigen Städten, diesem Aufruhr zahlloser Gesichter, war die Strafe der Verbannung - über die Ketten des Sich-Verschuldens hinaus - mehr oder weniger bedeutungslos. Natürlich waren auch diese Menschen nicht gegen die Vorstellung einer seelischen Bestrafung gefeit - sie lebten schließlich in Familien, etwas, das allen menschlichen Wesen gemein war -, doch die Wunden, die durch
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