Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
sie ihm vom Kopf.
Panik erfasste ihn, und er stieß ihren Schädel gegen das Hartholz des Bettes am Kopfende, einmal, zweimal, dreimal, bis er spürte, wie sie erschlaffte. Zur Sicherheit hämmerte er ihren Kopf ein viertes Mal gegen das Holz, und diesmal glaubte er, ihre Hirnschale brechen zu hören, falls man so etwas überhaupt hören konnte. Er ließ einen Unterarm auf ihren Nacken gestützt und suchte mit der freien Hand hastig nach seiner Sturmhaube. Er fand sie in ihrer fest darin verkrallten Faust, riss sie heraus und zog sie sich wieder über den Kopf. Dann schob er den Arm unter die schmale Taille der Frau, hob sie vollständig vom Bett hoch und rammte sie mit dem Kopf ein letztes Mal gegen das Holz.
Dann warf er sie herum und sah ihr in die Augen. Sie standen offen und starrten leblos nach oben; vom zertrümmerten Schädeldach sickerte Blut über ihr Gesicht bis auf die entblößten Brüste. Er zerrte ihr das Nachthemd vollends vom Leib und schleuderte es neben das Bett. Anschließend hob er den nackten Leichnam noch einmal an und streckte ihn auf dem Fußboden aus. Dann zückte er das Steakmesser, das er in der Küche der Robinsons an sich gebracht hatte, und ritzte in die Haut der Toten höchst aufschlussreiche Kerben ein. Sie zu deuten sollte der Polizei nicht schwer fallen. Er ging das Risiko ein, die kleine Nachttischlampe anzuknipsen, schabte mit der Messerspitze unter den Fingernägeln der Toten, holte winzige Fetzen der Sturmhaube hervor und steckte sie in die Tasche.
Er nahm Jean Robinsons Armbanduhr vom Nachtschränkchen, stellte sie auf sechs, zog das Rändelrad heraus und legte ihr die Uhr ums Handgelenk.
Nachdem er seinen Plan so weit verwirklicht hatte, fühlte er sicherheitshalber nach ihrem Puls. Es war nichts mehr zu spüren. Jean Robinson war unwiderruflich dahin. Die nächste Station der Frau war die staatlich geprüfte Fleischbeschauerin Dr. Diaz. Harold Robinson war von nun an Witwer und hatte für drei kleine Jungs zu sorgen. Und die Welt drehte sich weiter und bewies ganz und gar, dass eigentlich nichts eine Bedeutung hatte. Jeder ist zu ersetzen.
Er knüllte das Nachthemd zusammen, weil die Gefahr bestand, dass sich Spuren daran finden ließen, und steckte es ebenfalls in die Tasche. Den Vorzug des Staubsaugens durfte er sich wegen der schlafenden Kinder nicht gestatten; er konnte von Glück sagen, dass der Lärm, der entstanden war, als er ihre Mutter totschlug, die zwei älteren Jungen nicht geweckt hatte.
Er wandte sich um und betrachtete ein letztes Mal sein Werk. Es war recht hübsch gelungen – nein, sogar erstklassig.
Alles Gute, Mrs Robinson.
Er suchte die Küche auf, fand dort ihre Handtasche, nahm das Handy heraus, schaute im Nummernverzeichnis nach, entdeckte die gewünschte Rufnummer und rief den geliebten Ehemann an, der irgendwo, noch nicht allzu weit entfernt, auf der Straße unterwegs war. Er sagte nur vier schlichte Worte: »Ihre Frau ist tot.« Dann trennte er die Verbindung und schaltete das Handy aus. Er langte auf die Oberseite des Küchenschranks und entfernte die Wanze, die er bei einem vorherigen heimlichen Aufenthalt im Haus der Robinsons dort versteckt hatte. Er brauchte sie nicht mehr.
Nun musste er nur noch eines erledigen, dann war es vorüber; zumindest für heute Nacht. Er schlich zurück zur Kellertreppe.
»Mama?«
Als im Obergeschoss die Beleuchtung aufflammte, verharrte der Mörder mitten im Flur. Schritte näherten sich. Kurze, zögernde Schritte kleiner nackter Füße auf dem Holzfußboden.
»Mama?«
Der kleine Junge erschien auf dem Treppenabsatz des Obergeschosses und spähte herunter. In einer Hand schleifte er einen Plüschhund mit sich. Er trug eine weiße Unterhose und ein Spiderman-T-Shirt. Verschlafen rieb er sich mit der kleinen, pummeligen Faust die Augen.
»Mutti?«, rief er. Endlich sah er am Fuß der Treppe die schattenhafte Gestalt mit der Sturmhaube.
»Vati?«
Der Mörder stand da und blickte hinauf zu dem Kind. Seine vom Handschuh umhüllte Faust glitt in die Tasche; die Finger umschlossen einen Messergriff. Binnen eines Augenblicks wäre es vorbei. Ein Doppelmord statt Mord, warum nicht? Mutter und Sohn, na und? Es drängte ihn zu der Tat. Doch er rührte sich nicht von der Stelle. Stattdessen betrachtete er stumm das Kind, dessen Umrisse sich im schwachen Licht abzeichneten; den möglichen Augenzeugen.
»Vati?«, wiederholte der Junge, dessen Stimme jetzt aus Furcht lauter wurde, weil er keine Antwort
Weitere Kostenlose Bücher