Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
irgendwann danach fragen, und wenn er dann keine Antwort parat hatte, würde das ihren Verdacht erregen. Eigentlich durfte er das Passwort gar nicht kennen, das ihm Zugang zu diesen Dateien verschafft hatte, doch er hatte es der Frau abgeluchst, die für diese Arbeit zuständig war. Sie kam nur an drei Tagen die Woche in die Praxis, wodurch Kyle jede Menge Zeit hatte, seine Spuren zu verwischen, wenn er für einen »Schwund« des Medikamentenbestandes gesorgt hatte.
Doch Kyle Montgomery hatte Sylvia unterschätzt. Sie hatte bereits Verdacht geschöpft. Und ihr Misstrauen konnte im Laufe der Zeit nur stärker werden.
Als Montgomery aufstand, um ihr zu folgen, fiel sein Blick auf die Zeitung, die auf dem Schreibtisch neben dem Computer lag. Die Schlagzeile war dieselbe, über die der Mann in der Höhle sich so erregt hatte. Montgomery überflog den Artikel. Der Mord war am gleichen Abend geschehen, als er der Frau im Aphrodisia die Medikamente geliefert hatte. Nach Angaben der Zeitung hatte die Tat sich in genau der Stunde ereignet, als Montgomery auf dem Weg zum Nachtclub am Krankenhaus vorbeigefahren war. Vielleicht war er dem Mörder unterwegs sogar begegnet. Diese Erkenntnis verursachte ihm eine Gänsehaut. Während er sich an den Abend erinnerte, wurde ihm plötzlich klar, was er gesehen hatte. Und wie Kyle Montgomery es schon sein Leben lang getan hatte, überlegte er sich sofort, wie er dieses Wissen am besten zu seinem eigenen Vorteil nutzen konnte.
KAPITEL 34
Junior Deaver wuchtete eine Palette mit Asphaltschindeln von der Ladefläche seines Pick-ups. Sie landeten mit einem Krachen auf dem Boden, das laut durch die Stille des frühen Morgens hallte. Junior sprang vom Pick-up und betrachtete das Haus, das er für seine Familie baute. Die Wände standen, der Dachstuhl war fertig, und schon bald würde es gedeckt sein. Aber es war eine langwierige Arbeit gewesen. Das meiste hatte er selbst gemacht und nur gelegentlich Kumpel zu Hilfe geholt. Es war kein großes Haus, aber sehr viel geräumiger als der überbreite Wohnwagen, in dem sie derzeit lebten. Junior nahm seinen Werkzeuggürtel von der Ladefläche, legte ihn um und wollte den Benzingenerator anwerfen, der die Luftdruckpistole antrieb, mit der er die Schindeln festnageln wollte.
Erst jetzt hörte er die verstohlenen Schritte, die sich ihm leise näherten. Er wirbelte herum. Auf dieser abgelegenen Baustelle rechnete er nicht mit Besuchern. Außer seiner Frau wusste niemand, dass er hier war. Und er hatte kein Auto gehört.
Beim Anblick der Frau wich ihm das Blut aus dem Gesicht.
Remmy Battle trug einen langen schwarzen Ledermantel mit hochgeschlagenem Kragen und eine große Sonnenbrille. Ihre Füße steckten in Stiefeln, ihre Hände in Handschuhen, obwohl es nicht besonders kalt war.
»Mrs Battle? Was tun Sie denn hier?«
Sie blieb einen halben Meter vor ihm stehen. »Ich will mit Ihnen reden, Junior. Nur Sie und ich.«
»Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«
»Ich weiß sehr viel, Junior. Viel mehr, als die meisten Leute glauben. Deshalb will ich mit Ihnen reden.«
Junior hob die Hände. »Ich habe mir einen Anwalt besorgt. Sie sollten sich lieber mit dem unterhalten.«
»Das habe ich schon. Und jetzt will ich mit Ihnen reden, Junior.«
Er betrachtete sie misstrauisch und blickte sich dann um, als rechnete er damit, dass plötzlich ein Trupp Polizisten auftauchte und ihn festnahm. Seine Miene wurde abweisend. »Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten. Sie haben mich schon einmal ins Gefängnis gebracht.«
»Aber jetzt sind Sie wieder draußen, nicht wahr?«
»Ja, aber dazu mussten wir eine Kaution zahlen. Jetzt sind wir fast pleite. So viel Geld haben wir nicht.«
»Kommen Sie, Junior, Ihre Frau verdient doch sehr gut in diesem Club . Das weiß ich. Mein Mann hat das Etablissement gelegentlich aufgesucht. Wahrscheinlich hat sie allein mit ihm ein kleines Vermögen gemacht.«
»Davon weiß ich nichts.«
Sie ging nicht darauf ein. »Mein toter Mann.«
»Ich hab davon gehört«, murmelte Junior.
»Dann wissen Sie auch, dass er ermordet wurde«, sagte sie mit seltsam tonloser Stimme.
»Ja.«
»Sie kommen aus dem Gefängnis, und kurz darauf ist er tot.«
Er sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Moment mal! Das können Sie mir nicht anhängen, Lady!«
»Nein? Dann haben Sie bestimmt ein Alibi.«
»Davon können Sie ausgehen.«
»Gut für Sie. Aber deswegen bin ich nicht hier.« Sie kam noch näher und nahm die Sonnenbrille
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