Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
neun Löcher auf einem Golfplatz in der Nähe gespielt, war nach Hause zurückgekehrt, hatte geduscht, sich umgezogen, hatte eine Kasserolle für ihren Mann aufgewärmt und sich eine Fernsehshow angesehen, die sie früher am Tag aufgenommen hatte. Sie war gerade auf dem Weg zur Tür, um sich mit ein paar Freundinnen zum Dinner zu treffen, als sie in der Garage zusammengebrochen war. Frank Maxwell war im Bad gewesen. Kurz darauf war er in die Garage gegangen und hatte seine Frau auf dem Boden gefunden. Offenbar, so glaubte er, war Sally schon tot gewesen, bevor sie auf dem Beton aufgeschlagen war. Sie waren nicht sicher, was genau Sally getötet hatte - ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, ein Blutgerinnsel -, aber sie lebte nicht mehr.
Während die Bäume zu beiden Seiten der Straße nur so vorbeihuschten, rasten Michelles Gedanken sogar noch schneller und bewegten sich von ihren frühesten Kindheitserinnerungen bis hin zu den letzten Treffen mit ihrer Mutter, die allerdings nicht sonderlich bemerkenswert gewesen waren.
Eine Stunde später hatte Michelle mit ihren vier Brüdern gesprochen, von denen zwei ziemlich nahe bei den Eltern lebten; einer, Bobby, wohnte sogar noch in derselben Stadt. Der vierte, Bill Maxwell, lebte in Florida. Er war gerade auf dem Weg zu einem Besuch bei seinen Eltern gewesen, als er nach knapp einer Stunde Fahrt die traurige Nachricht erhalten hatte. Michelle kam als Letzte. Die nächsten Stunden verbrachte sie mit ihrem Vater, der die meiste Zeit lethargisch vor sich hin starrte. Dann und wann erwachte er kurz aus der Schockstarre und kümmerte sich um die Beerdigungsvorbereitungen.
Frank Maxwell hatte den größten Teil seines Lebens bei der Polizei verbracht und seine Karriere als Polizeichef beendet. Er sah noch immer so aus, als könne er jederzeit aus einem Streifenwagen springen, einem Übeltäter hinterherrennen und ihn zu Fall bringen. Michelle hatte diese körperliche Stärke von ihrem Vater geerbt - wie auch ihre Gier nach Erfolg und die Unfähigkeit, sich lächelnd mit dem zweiten Platz zufriedenzugeben. Doch als Michelle ihren Vater nun aus der Ferne beobachtete, sah sie einen rasch alternden Mann, der gerade alles verloren und keine Ahnung hatte, was er nun mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte.
Als Michelle es nicht mehr ertragen konnte, zog sie sich in den Hinterhof zurück, setzte sich auf eine alte Bank unter dem Apfelbaum, schloss die Augen und tat so, als würde ihre Mutter noch leben. Sie dachte an ihre Kindheit zurück, doch es fiel ihr schwer. Teile ihrer Jugend hatte sie einfach ausgelöscht - aus Gründen, die für ihren Psychiater offensichtlicher waren als für sie selbst.
Michelle rief Sean an, um ihn wissen zu lassen, dass sie gut angekommen war. Er sagte die angemessenen und üblichen Worte, war hilfsbereit und sanft; doch nachdem Michelle aufgelegt hatte, fühlte sie sich schrecklich allein. Einer nach dem anderen kamen ihre Brüder auf den Hinterhof. Die Geschwister redeten und weinten miteinander. Michelle fiel auf, dass Bill, der größte und älteste - ein harter Cop in den Vorstädten von Miami, die man durchaus als Kriegsgebiet klassifizieren konnte -, am lautesten schluchzte.
So kam es, dass Michelle ihre älteren Brüder bemutterte, obwohl sie nicht gerade der mütterliche Typ war. Doch die leidende Gesellschaft ihrer männlichen Geschwister begann sie zu ersticken. Schließlich ließ sie ihre Brüder im Hof allein und ging zurück ins Haus. Ihr Vater war oben. Michelle hörte ihn mit jemandem telefonieren. Sie schaute zu der Tür, durch die man aus der Küche in die Garage kam. Sie war noch nicht dort drin gewesen, wollte nicht sehen, wo ihre Mutter gestorben war. Andererseits musste sie sich ihren Ängsten stellen.
Michelle drehte den Knauf, öffnete die Tür und starrte auf die drei ungestrichenen Holzstufen, die hinunter in die Doppelgarage führten. Ein Wagen stand dort unten. Es war der blassblaue Camry ihrer Eltern. Die Garage sah aus wie jede andere, mit einer Ausnahme.
Der Blutfleck auf dem Betonboden. Michelle trat näher heran.
Blut auf dem Betonboden?
War ihre Mutter die Stufen hinuntergefallen? Hatte sie sich den Kopf angeschlagen? Michelle betrachtete die Tür des Camry. Da war nichts zu sehen. Sie schätzte die Entfernung von den Stufen bis zum Wagen. Ihre Mutter war eine große Frau gewesen. Wäre sie nach vorne gefallen, hätte sie den Wagen getroffen. Zur Seite hätte sie nicht stürzen können; das machte ein hüfthohes
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