Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Jane stark und zäh ist und tut, was nötig ist. Und Dan hatte die Begabung, die Menschen zu begeistern.«
»Das ist alles, was man dafür braucht? Gott stehe uns bei!«
»Aber das hat alles seinen Preis, Michelle.«
»Wirklich?«, erwiderte sie skeptisch.
»Man muss wissen, dass das alles eines Tages zusammenbrechen kann.«
»Das scheint mir nicht gerade ein hoher Preis zu sein, tut mir leid.«
»Glaub mir - dass Cox von seinem Amt zurückgetreten ist, war erst der Anfang. Sie erwarten Jahrzehnte voller Prozesse, und sie können von Glück sagen, wenn sie am Ende nicht im Knast landen.«
»Dann lass uns hoffen, dass sie Pech haben.«
Nachdem sie ein paar Meilen gefahren waren, griff Sean auf den Rücksitz und holte irgendetwas aus seiner Aktentasche. Michelle, die fuhr, schaute zu ihm hinüber.
»Was ist das?«
»Die Akte, die du in der Nacht in den Mülleimer geworfen hast, als du in Horatio Barnes' Büro eingebrochen bist.«
»Was? Wie ...?«
»Ich bin gerade noch rechtzeitig um die Ecke gekommen, um dich dabei zu beobachten. Ich habe sie rausgeholt und getrocknet. Ich habe sie nicht gelesen, Michelle. Das würde ich niemals tun. Aber ich dachte mir, du willst sie vielleicht haben.«
Michelle starrte auf den Stapel Papier. »Danke, aber ich brauche sie nicht mehr. Mein Dad und ich, wir haben das schon geregelt.«
»Dann weißt du also, was da drin steht?«
»Ich weiß genug, Sean.«
Nachdem sie in D. C. gelandet waren, fuhr Michelle den SUV vom Parkplatz. Eine halbe Stunde später waren sie in Michelles Apartment. Sie hatten beschlossen, dass Gabriel vorläufig hier wohnen sollte, aber Sean würde sich gleichberechtigt um ihn kümmern.
Heute Nacht schlief Gabriel jedoch nirgendwo anders als im Haus von Chuck Waters. Der FBI-Agent hatte sechs Kinder, drei in Gabriels Alter, und der erfahrene, sauertöpfische Bundespolizist hatte doch tatsächlich ein Herz für Kinder und sich sofort bereiterklärt, Gabriel aufzunehmen. Waters lebte draußen in Manassas, und im Lauf der letzten Monate hatte Gabriel sich mit den Waters-Kindern angefreundet. Sean glaubte, Chuck plante insgeheim, den intelligenten Gabriel nach dem College für das FBI zu rekrutieren. Sean hatte Gabriel allerdings klargemacht: »Du musst dir höhere Ziele stecken als das FBI.«
»Wie viel höher?«, hatte Gabriel erwidert.
»Secret Service natürlich«, hatte Michelle geantwortet.
Michelle warf ihre Wagenschlüssel auf den Küchentresen. »Nimm dir ein Bier. Ich werde schnell duschen und mir frische Sachen anziehen. Dann können wir vielleicht was essen.«
»Ich rufe mal bei Waters an und höre nach, wie es Gabriel geht.« Sean lächelte. »Dieser Vaterjob ist gar nicht mal so übel.«
»Ja, das liegt daran, dass du die vielen schlaflosen Nächte und vollgeschissenen Windeln verpasst hast.«
Sean schenkte sich ein Soda ein, setzte sich auf die Couch und rief Waters an. Gabriel gehe es hervorragend, sagte der FBI-Agent. Als Sean anschließend mit dem Jungen redete, wurde diese Aussage durch Gabriels fröhlichen Tonfall bestätigt. Als Sean wieder auflegte, hörte er, wie die Dusche neben Michelles Schlafzimmer angestellt wurde. Er versuchte fernzusehen, doch der Krimi, auf den er gestoßen war, war armselig im Vergleich zu dem, was sich gerade im wirklichen Leben ereignet hatte, und so schaltete Sean den Fernseher wieder aus. Dann saß er einfach nur da, schloss die Augen und versuchte zu vergessen, was in den letzten Monaten geschehen war - jedenfalls für ein paar Sekunden.
Als er die Augen wieder aufschlug, sah er, dass Michelle noch immer nicht zurückgekommen war. Er schaute auf die Uhr. Fünfzehn Minuten waren vergangen. Sean hörte keine Geräusche aus dem Schlafzimmer.
»Michelle?«
Keine Antwort. »Michelle!«
Sean murmelte einen Fluch, stand auf und schaute sich um. Bei all den Verrücktheiten in letzter Zeit - wer weiß? Er zog seine Pistole und schlich durch den kurzen Flur. Dann schaltete er ein Licht mit dem Ellbogen an.
»Michelle!«
Vorsichtig öffnete er die Schlafzimmertür.
Im angrenzenden Badezimmer brannte ein kleines Licht.
Mit sanfter Stimme fragte er: »Michelle? Alles in Ordnung? Ist dir nicht gut?«
Sean hörte, wie der Fön losheulte, und seufzte erleichtert. Dann wandte er sich zum Gehen, tat es aber nicht, sondern stand einfach nur da und schaute auf das Licht, das unter der Badezimmertür hindurchschimmerte.
Ein paar Minuten später wurde der Fön abgestellt, und Michelle kam in einem langen,
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