Sebastian
auf dem Marktplatz gewesen? »Vielleicht. Oder vielleicht war es die Freude, die einige der Menschen ob des Unglücks anderer empfanden. Ein Wächter der Dunkelheit nährt Gefühle, die sich bereits im Herzen einer Person befinden. Er kann keinen Zweifel schaffen, wenn der Samen des Zweifels nicht bereits gesät ist.«
»Ich verstehe.« Lee zupfte an seiner Unterlippe. »Also bist du aus all den Generationen die einzige aller Landschafferinnen, die nicht über die gesamte Spanne der Gefühle verfügt.«
»Was?«
»Du wirst niemals wütend oder traurig oder grantig oder fragst dich, ob du eine gute Entscheidung getroffen hast. Du bist nicht einfach stinksauer, weil es eben der Tag dafür ist. Nein, du bist nie etwas anderes als glücklich, freundlich, großzügig, nett, loyal, liebevoll. Du bist einfach eine tropfende Lache der Güte.«
Tief verletzt sprang Nadia auf, überzeugt davon, dass sie platzen würde, wenn sie sich nicht bewegte. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich dir einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen oder dir den Mund mit Seife ausspülen soll.«
»Bevor du eines von beidem versuchst, erinnere dich daran, was du uns beigebracht hast«, sagte Lee ruhig. »Das menschliche Herz ist zu jeder vorstellbaren Gefühlsregung fähig - gute wie schlechte -, und es ist Teil der Reise durch das Leben, Tag für Tag zu entscheiden, welche dieser Gefühle wir nähren, damit sie stärker werden, und von welchen Gefühlen wir uns abwenden, weil wir nicht wollen, dass sie unser Leben beherrschen. Aber wir tragen diese Gefühle trotzdem in uns. Die Schatten im Garten. So nennen sie die Landschafferinnen doch, oder nicht?«
Sie fühlte sich, als hätte er ihr kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet und sie aus einem verschwommenen Traum geweckt. Sie setzte sich auf die Bank. »Schatten im Garten«, sagte sie leise, und das Echo des Gefühls, das sie als Schülerin verspürt hatte, als dieser Satz begann, eine Bedeutung anzunehmen, stieg in ihr auf. »Ja, so nennen wir sie.«
»Und jetzt, da sich die Dinge zum Schlechten wenden, und die ganze Welt davon abhängt, welche Entscheidungen sie trifft, fragst du dich, was in Glorianna steckt, das sie zu Belladonna macht?«
Schamesröte überzog Nadias Wangen. »Ja.«
Lee setzte sich anders auf die Bank, um es bequemer zu haben. »Weißt du, wo die Kaffeebohnen herkommen?«
Nadia sah ihn mit gerunzelter Stirn an, verwirrt vom plötzlichen Themenwechsel. »Sie kommen aus einem Land, das von hier aus weit im Süden liegt. Eine -«
»Dämonenlandschaft.«
Sie starrte ihn an - und fragte sich, warum in seinem Lächeln sowohl Belustigung als auch Trauer lag.
»Nicht alle«, sagte Lee. »Die Schiffe, die aus jenen südlichen Ländern Handelshäfen anlaufen, führen Kaffeebohnen, die auf Kaffeefarmen angebaut werden. Nein, Farm ist nicht das richtige Wort, aber das spielt keine Rolle. Diese Orte sind in der Hand von Menschen. Aber die Kaffeebohnen, die den Weg sowohl in einige deiner als auch in Gloriannas Landschaften finden, stammen von einem Stück Land, das von einer Dämonenrasse bewohnt wird.«
»Das hast du mir nie erzählt.«
»Du liebst sie und würdest bis zum letzten Atemzug kämpfen, um sie vor den Zauberern zu beschützen, aber du hast dich nie wohl damit gefühlt, dass Glorianna die Resonanz der dunklen Landschaften teilt, in denen Dämonen leben. Also möchte ich dir von dieser einen erzählen.«
Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass sie ihm zuhören, ihn verstehen musste. Oder sie würde ihre Kinder verlieren. Beide.
Ihre Kehle war so zugeschnürt, dass sie nicht sprechen konnte, also nickte sie nur.
»Ich war mit Glorianna zusammen an dem Tag, an dem die Resonanz dieser Dämonenlandschaft so stark wurde, dass sie antworten musste. Sie hatte in ihrem Garten gearbeitet, den Boden einer ihrer ›Warteplätze‹ umgegraben, und ich war bei ihr, um ihr Gesellschaft zu leisten und mich auszuruhen, denn ich war in den vorangegangenen Wochen viel gereist. Ich sah, wie sie blass wurde, sah das Entsetzen in ihren Augen, als sie ihre Hände flach auf die frisch umgegrabene Erde presste. Sie musste gehen, sofort, mit dem Schmutz an den Händen und in den alten Kleidern, die sie im Garten trug. Ich habe mich an ihr festgehalten, und wir sind den Schritt zwischen Hier und Dort gegangen.
Ich bin mir nicht sicher, wer sich mehr erschreckt hat, als wir in dieser Landschaft auftauchten - Glorianna und ich … oder die heiligen Männer der verschiedenen
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